Band III

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Sitten und Benehmen:
Anrede

Jovianer kennen eine Du- und eine Sie-Form. Innerhalb der Familie wird grundsätzlich geduzt, Außenstehende allerdings werden von Kindheit an gesiezt. Es ist also das Normalste der dortigen Welt, wenn jemand zu einem Kleinkind sagt: „Na, wo kommen Sie denn her?“
In den Rollersagen[1] wird statt dem „Sie“ das „Ihr“ verwandt. Dies wurde als bestverständliche Übersetzung einer von den Sagenautoren verwendeten Anrede gewählt, die wörtlich übersetzt „rühmlich“ heißen und von uns nur schlecht verstanden würde (”Wie geht es rühmlich?“). Von den begeistertsten Anhängern der Rollerromane wurde in der Epoche der Romantik[2] das „rühmlich“ bzw. „Ihr“ auch im Alltag verwendet. Heute kommt das nicht mehr vor.

Für den Übergang vom Sie zum Du gibt es eine uns unbekannte Zwischenform: das „Siedu“. Damit wird praktisch das Du angeboten. „Wie geht es Ihnendir?“ heißt also soviel wie: „Wie geht es Ihnen? Im Übrigen schlage ich vor, dass wir uns duzen“.
Erwidert der Angesprochene das Siedu („Danke, gut, und Ihnendir?“), sind die ab sofort per du. Erwidert er es nicht („Danke, gut, und Ihnen?“), bleibt’s beim Sie, und beide versuchen, das Angebot möglichst schnell wieder zu vergessen.

Jemanden ohne vorausgegangenes Siedu zu duzen ist unter Erwachsenen sehr unhöflich. Bei Kindern allerdings, die sich zunächst ebenfalls siezen (Jovianerkinder können schon nach ca. 30 Tagen nach der Geburt laufen und sprechen), unterbleibt das Siedu aus Unkenntnis oft, d. h. ein Kind spricht das andere, mit dem es sich anfreunden möchte, unvermittelt mit Du an, und das andere erwidert es. Die Kinder eines Kaffs[3] sind ab einem Alter von ungefähr 10 Jupjahren[4] allesamt miteinander per du.

Anders als wir benutzen Jovianer auch ein umgekehrtes Angebot, das „Dusie“. Es bedeutet, dass jemand jemanden, den er duzt, künftig gern siezen würde. Darin liegt keinerlei beleidigende Absicht. Auch wir könnten diese Form gut brauchen, etwa wenn Kinder, zu denen (bei uns) die Nachbarn immer schon „du“ gesagt haben, erwachsen werden. Gäbe es auch bei uns etwas wie das Dusie, könnten damit die Erwachsenen einem langjährig bekannten Heranwachsenden anbieten, künftig „Sie“ zu ihm zu sagen und nicht ein Leben lang „du“, während umgekehrt das ehemalige Kind die Nachbarn lebenslang zu siezen hat.
Einen solchen Fall gibt es unter Jovianern nicht, da sie ja die Nachbarskinder siezen. Ein Dusie wird vielmehr vor allem unter Jugendlichen ausgesprochen, die damit ausdrücken wollen, dass sie einander von nun an „für voll nehmen“, d. h. gewissermaßen als erwachsen betrachten. Aber auch von sich trennenden Familierten[5] wird das Dusie angewandt; sie geben einander damit sozusagen wieder frei.

„Herr“ und „Frau“ als Anrede mit nachfolgendem Namen wird unter Gleichgeschlechtlichen weggelassen. Man setzt es nur gegenüber dem anderen Geschlecht voran. Eine Frau Müller würde eine Frau Schulze also nicht mit „Frau Schulze“ ansprechen und sie auch nicht in deren Abwesenheit so nennen. Für Frau Müller ist Frau Schulze nur „Schulze“, und umgekehrt natürlich genauso. Dass Frau Müller damit nicht zu oder über einen Herrn Schulze spricht, ist daran zu erkennen, dass sie dann „Herr Schulze“ sagen würde.
Ebenso spricht ein Herr Schulze über oder zu einer Frau Müller als „Frau Müller“, einen Herrn Müller nennt er jedoch nur „Müller“.

Ferner gibt es noch die Anrede „Prinemu“, die man am treffendsten mit „Verehrteste(r)“ übersetzen könnte. Sie wird, ohne einen Namen beizufügen, gegenüber einer Person verwendet, deren Ansehen man damit als höher einstuft als das eigene. Dem oder der als Prinemu Angesprochenen bleibt nicht viel anderes übrig, als seinen Gesprächspartner ebenfalls Prinemu zu nennen, womit das Ansehensgefälle wieder ausgeglichen ist. Ein Verstoß gegen diese Sitte, also wenn der als Prinemu Angesprochene z. B. mit der Anrede „Müller“ antwortet, gilt als grobe Beleidigung und schadet dem Ansehen des als Prinemu Angesprochenen dergestalt, dass Herr Müller ihn in der Folge natürlich ebenso nur noch als „Schulze“ ansprechen wird.

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[1] ^ Rollersagen oder -romane waren Geschichten über eine romantisierte Vergangenheit der Jovianer im Zeitalter der Romantik[2].

[2] ^ Die „Romantik“ ist eine Zeitspanne in der jovianischen Geschichte (ca. 150 – ca. 330 nGU[6]), in der die – auf Sporen[7] gesprochenen – Rollersagen[1] sehr verbreitet waren.
Näheres s. Artikel Romantik in Band IV.

[3] ^ Als Käffer (Einzahl: Kaff) bezeichnet man die Stadtteile von Jupolis.

[4] ^ Jupjahr nennen wir das Jahr nach jovianischer Zeitrechnung. Ein Jupjahr entspricht dem Zeitraum nach 41,3 Erdentagen. Näheres s. Artikel Zeit- und andere Rechnungen hier in Band III.

[5] ^ Jovianer heiraten nicht, sondern „familieren sich“, was in etwa unserer Verlobung entspricht.
Näheres s. Seite Familierung hier in diesem Artikel.

[6] nGU = „nach Großem Umzug[8]“, die jovisophische[9] Kalenderrechnung gewissermaßen.

[7] Die Sporen (Samen?) der Bunten Berge[10] werden als Kommunikations- und Speichermedium genutzt.
Näheres hierzu s. Artikel Sprache, Schrift und Sporen in Band III, bzw. (Herkunft) Buntbergsporen in Artikel Buntberginsel in Band I.

[8] Als „Großer Umzug“ wird die Umsiedlung der Jovianer von der Io[11] auf den Jupiter bezeichnet.
Näheres s. Artikel Der Große Umzug in Band IV.

[9] „Jovisophisch“ = zur Jovisophie gehörig, auf ihr beruhend. Die Jovisophie ist die Lehre von der jovianischen Zivilisation, also der Kultur der Jovianer.

[10] Bunte Berge: Das „Gebirge“ auf der Buntberginsel, das in Wirklichkeit gar keines ist.
Näheres s. Seite Bunte Berge in Artikel Buntberginsel in Band I.

[11] Die Io, oft auch Heimat-, seltener Rumpelmond genannt, ist der innerste der vier größten, sog. Galileischen Monde des Jupiters. Von hier stammen die Jovianer ursprünglich.