Band II

zurück Arbeit Neider weiter
JOVIANER:
Nutzfreiheit

Nutzfreiheit ist die Abwesenheit der Verpflichtung, von Nutzen zu sein oder etwas Nützliches zu tun. Jovianer verspüren eine solche Verpflichtung nicht und erwarten auch von anderen keine Nützlichkeit. Wie wir an ihnen sehen, tut das einem ersprießlichen Zusammenleben keinen Abbruch. Nicht nützlich sein zu müssen (oder wenigstens zu sollen) heißt ja noch lange nicht, dass man deswegen nutzlos ist. Man kann, im Gegenteil, sogar noch nützlicher sein, wenn man nicht dazu verpflichtet ist oder – und sei’s nur moralisch – sogar gezwungen.

In diesem Zusammenhang lohnt es sich, einmal kurz das Verhältnis des Einzeljovianers zur jovianischen Gesellschaft als Ganzes zu beleuchten. Wir wissen ja, dass sämtliche Jovianer gemeinschaftlich von einer Trieb- oder Knirschphase in die andere fallen, aber wir dürfen daraus nicht schließen, dass sich deshalb das Individuum als Teil einer Gesamtheit, als Teil der Masse empfände. Der Jovianer ist also kein „Hering im Schwarm“. Das kommt vermutlich daher, dass er sich nie in einer Herde gegen einen Angreifer zur Wehr setzen musste.
Gut möglich, dass sich inzwischen das Jovianervolk so ein bisschen als Gemeinde unter Abgrenzung gegenüber den Bovianern[1] sieht, aber da diese sich kaum blicken lassen, kommt das auch nicht groß zum Tragen.
Gesetzt den Fall, die Amalvianer[2] – falls es sie gibt – würden eines Tages in Jupolis auftauchen, dann wäre es durchaus denkbar, diese beiden „Stämme“ der ehemaligen Iovianer[3] würden sich nach so vielen Jupjahrhunderten[4] der getrennten Entwicklung voneinander abgrenzen … aber vielleicht auch nicht. Seinerzeit auf der Io unterschied man ja auch zwischen Jupseitlern[5], Halbjupseitlern[6] und Gegenjupseitlern[7], ohne dass es zu einer nennenswerten Parteinahme gegeneinander gekommen wäre, und das, obwohl man doch den Bewohnern der jeweils anderen Seiten ein paar abweichende, zum Teil befremdende Eigenschaften zuschrieb.

Der Jovianer empfindet also – auch wenn es in Triebphasen bisweilen ganz schön anders aussehen kann – keinen oder nur sehr wenig Herdentrieb, sondern ist im Grunde seines Herzens ein Einzelgängerwesen. Das klappt soweit ganz gut. Allein das naturgegebene – individuelle – Gefühl „ich könnt mal wieder etwas tun“ reicht offenbar aus, um alles in Schuss zu halten, was für einen reibungslosen Ablauf des Gemeinwesens erforderlich ist.

Aber ganz so paradiesisch-zwanglos ist die ganze Angelegenheit doch auch wieder nicht. Zwar würde nie ein arbeitsamer Wenig-Batzen-Esser gegen einen müßiggängerischen Viel-Batzen-Esser eine Eifersucht entwickeln, denn Batzen sind für alle da, und weder der eine noch der andere der beiden Genannten trägt regelmäßig etwas dazu bei, dass sie zuverlässig aus dem Spender kommen.

Aber da ist eben immer die etwas verzwickte Sache mit dem Ansehen[8].
Wer nie etwas tut, kann es auch zu keinem Ansehen bringen; insofern ist die Tätigkeit dann doch wieder von Nutzen, nämlich für einen selbst. Allerdings muss man auch da wieder einräumen, dass einem auch nutzloses oder nutzfreies (wie man will) Tun zu Ansehen verhelfen kann, wie etwa derzeit die „Bewältigung“ des „Pfads der Verwegenen[9]“.

Wie auch immer – die Nutzfreiheit des Jovianers ist nicht nur im Fehlen von Verpflichtungen spürbar, sie schlägt sich sogar sprachlich nieder.
Jovianer belehren einander nicht und tun das auch nicht in dem Sinn, dass der eine meint, dem anderen ungefragt etwas erklären zu müssen. Auf Erden sind wir das ja gewöhnt, dass sich immer wieder mal jemand gemüßigt fühlt, uns Zusammenhänge zu erklären, die er zu durchschauen glaubt, wir aber gar nicht wissen wollen. Der Jovi tut das nicht. Oder jedenfalls selten.

Stattdessen befriedigt er seine triebphasenhafte Schwatzhaftigkeit mit sinn- und nutzfreien Sprüchen und Debatten. Stundenlang kann der Jovianer in den Triebphasen leidenschaftlich über Geringfügigkeiten debattieren, über die unsereins kaum ein Wort verlieren würde. Auf unsere Verhältnisse übertragen wäre das etwa die Krümmung einer Gurke oder das aktuelle Wetter. Er kann darüber sogar in Streit geraten.
Ebenso zur Nutzfreiheit ist zu zählen, dass immer wieder sinnlose Sprüche die Runde machen. Nur ein Beispiel: „Der Tag ist am breitesten, wenn der Handschuh klemmt“. Darin verbirgt sich keinerlei Sinn, das ist nichts als blödes Geschwätz. Denn es gibt keine breiten Tage, und Handschuhe klemmen nicht. So was lässt sich variieren: „Die Breite klemmt mit dem Tagschuh in der Hand“ oder „Die Schuhhand verbreitert sich pro Klemmtag“.
„Ohnsinnplappern“ nennt man das. Daran hat der Jovianer seine Freude, hierüber kann er herzhaft lachen. In einer Triebphase, wie gesagt. In Knirschphasen lacht er nicht.

zurück Arbeit Neider weiter

Zum Seitenanfang

[1] ^ Bovianer: Die fremden „Mitbewohner“ der Jovianer auf dem Jupolis-Archipel[10], ansässig in den Grünen Bergen[11]. Näheres s. Artikel Bovianer in Kapitel Andere Lebewesen hier in Band II.

[2] ^ Die Amalvianer sind ein – vermuteter – Teil der ehemaligen Iovianer[3], die – vielleicht – den Großen Umzug[12] nicht vollends mitgemacht haben und – vielleicht – auf der Amalthea[13] zurückgeblieben sind; s. Seite Besiedlung der Amalthea in Artikel Der Große Umzug in Band IV.

[3] ^ Iovianer (also mit „I“ statt mit „J“) hießen die Jovianer, als sie noch auf der Io[14] lebten.

[4] ^ Jupjahr nennen wir das Jahr nach jovianischer Zeitrechnung, ein Jupjahrhundert umfasst dementsprechend 100 Jupjahre.
Ein Jupjahr entspricht 41,3 Erdentagen, ein Jupjahrhundert also ca. 11,3 Erdenjahren. Näheres s. Artikel Zeit- und andere Rechnungen in Band III.

[5] ^ Jupseitler: Ehem. Bewohner der Jupseite[15]; s. Seite Die verschiedenen Seitler in Artikel Io-Zeit in Band IV.

[6] ^ Halbjupseitler: Ehem. Bewohner der Halbjupseite[16]; s. Seite Die verschiedenen Seitler in Artikel Io-Zeit in Band IV.

[7] ^ Gegenjupseitler: Ehem. Bewohner der Gegenjupseite[17]; s. Seite Die verschiedenen Seitler in Artikel Io-Zeit in Band IV.

[8] ^ Das Ansehen (die Wertschätzung) ist das „Kapital“ des Jovianers, der ja kein Geld kennt. Näheres s. Artikel Das Ansehen in Band III.

[9] ^ Zum „Pfad der Verwegenen“ (mehr oder weniger ein Abenteuerspielplatz) s. Seite Pfad der Verwegenen in Artikel Rotberginsel in Band I.

[10] Der Jupolis-Archipel ist die Inselgruppe im Offenen Ozean[18], innerhalb der sich die Stadt Jupolis befindet. Er ist das Thema von Band I.

[11] Grüne Berge: Das Gebirge auf der Grünberginsel[19], Lebensraum der Bovianer[1].
Näheres s. Artikel Grünberginsel in Band I.

[12] ^ Als „Großer Umzug“ wird die Umsiedlung der Jovianer von der Io[14] auf den Jupiter bezeichnet.
Näheres s. Artikel Der Große Umzug in Band IV.

[13] Die Amalthea, auch „Großer Kartoffelmond“ genannt, ist ein sehr kleiner, unförmiger Mond mit eng um den Jupiter verlaufender Bahn. Sie ist der einzige Ort im All, wo evtl. noch ein paar weitere Ex-Iovianer[3] leben könnten, die sogenannten Amalvianer (hierzu mehr in Besiedlung der Amalthea in Artikel Der Große Umzug in Band IV.

[14] Die Io, oft auch Heimat-, seltener Rumpelmond genannt, ist der innerste der vier größten, sog. Galileischen Monde des Jupiters. Von hier stammen die Jovianer ursprünglich.

[15] Jupseite: Die Seite der Io[14], die dauerhaft dem Jupiter zugewandt ist; s. Seite Die verschiedenen Io-Seiten in Artikel Io-Zeit in Band IV.
Ihre Bewohner hießen Jupseitler[5].

[16] Halbjupseite: In weiteren Sinne gleichbedeutend mit der Horizone[20], im engeren Sinne nur die Hälfte davon, in der der Jupiter am Osthorizont steht, also v. a. unter Ausschluss des Landes Bo[21]; s. Seite Die verschiedenen Io-Seiten in Artikel Io-Zeit in Band IV.
Ihre Bewohner hießen Halbjupseitler[6].

[17] Gegenjupseite: Die Seite der Io[14], die dauerhaft vom Jupiter abgewandt ist; s. Seite Die verschiedenen Io-Seiten in Artikel Io-Zeit in Band IV.
Ihre Bewohner hießen Gegenjupseitler[7].

[18] Der Offene Ozean ist der die Inseln des Jupolis-Archipels[10] weiträumig umgebende Grundlikör[22].

[19] Grünberginsel: Die Großinsel im Norden des Jupolis-Archipels[10].
Näheres s. Artikel Grünberginsel in Band I.

[20] Die Horizone ist der Streifen zwischen der Jupseite[15] und der Gegenjupseite[17] der Io[14], also die bewohnte sogenannte Halbjupseite[16] und das unbewohnte Land Bo[21]. Der Name kommt daher, dass der Jupiter in dieser Zone am Horizont steht.

[21] Das Land Bo war eine sagenumwobene Gegend auf der Io[14].
Näheres s. Seite Das Land Bo in Artikel Fabelwesen des Kapitels Andere Lebewesen hier in Band II.

[22] „Grundlikör“ wird die Grundflüssigkeit inner- und außerhalb des Jupolis-Archipels[10] genannt, also des Offenen Ozeans[18] und des Dunklen Meers[23] einschließlich des Stadtmeers[24].

[23] Das Dunkle Meer ist der gesamte Grundlikör[22] innerhalb der Inseln des Jupolis-Archipels[10]; ein Teil davon wird als Stadtmeer[24] bezeichnet.

[24] Als Stadtmeer wird der Teil des Dunklen Meers[23] bezeichnet, in dem Jupolis liegt (bzw. schwimmt).

Zum Seitenanfang