Band II

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JOVIANER:
Denklinge

Um diese Betrachtungen nicht mit den Neidern abschließen zu müssen, werfen wir noch einen Blick auf einen ganz anderen Jovianertyp, den Denkling (wobei nun keineswegs gesagt werden soll, dass Denklinge der Gegensatz zu Neidern wären – sicherlich gibt es auch unter Denklingen Neider und unter Neidern Denklinge!).

Salopp formuliert könnte man sagen, dass die sogenannten Denklinge in ihrem Denkverhalten uns Menschen etwas ähnlicher sind als ihre übrigen Artgenossen. Das heißt nicht, dass sie so denken wie wir, also nicht, dass sie, wie wir, versuchen, durch aktives Nachdenken die Dinge des Lebens auf die Reihe zu kriegen. Aber wenigstens schrecken sie nicht so früh und so vehement vor geistigen Anstrengungen zurück – oder anders gesagt: Sie lassen es eher als der „Normaljovianer“ zu, dass der (theoretische) Verstand seine Arbeit tut. Deshalb fällt ihnen auch eher mal was ein, wie eine Sache anzugehen sei, die sich praxisorientierten Erwägungen entzieht.
Von unserer Warte aus betrachtet also gar nichts Besonderes – für Jovianer aber schon. Die meisten Jovianer stehen den Denklingen etwas ratlos gegenüber. Es ist ihnen leicht unheimlich, dass diese Leutchen nicht gleich das Thema wechseln oder ins Ohnsinnplappern abschweifen, wenn sich ein gewisser Überlegungsbedarf auftut, sondern vielmehr bedächtig den Kopf wiegen und erst einmal schweigen, ehe sie sich dazu äußern, und dass sie dann auch noch relativ Vernünftiges von sich geben. Insbesondere eine Unterhaltung zwischen mehreren Denklingen muss für die übrigen Jovianer ein merkwürdiges Szenario sein. Solche Unterhaltungen haben allerdings Seltenheitswert, denn Denklinge versammeln sich nicht, halten keine Symposien ab, verstehen sich nicht als Klasse, nicht als Experten, geschweige denn als Elite, verhalten sich wie alle anderen Jovianer auch, nur sind sie eben etwas anders.

Nur ein (unseres Wissens) einziges Mal hatte es tatsächlich eine Art Vereinigung der Denklinge gegeben, während der Allzeit[1] nämlich, als alles Außergewöhnliche gerade groß in Mode und viel von „Talenten“ die Rede war. Da versammelten sie sich im Brunnentor[2] und diskutierten über dies und jenes, sicher auch darüber, was man sonst noch alles diskutieren könnte … Von besonderen Erfolgen dieser Zusammenkünfte ist nichts bekannt. Auch nicht davon, ob es später nochmal zu gelegentlichen Treffen gekommen ist. Wahrscheinlich nicht.

Wohlgemerkt: Denklinge sind keine Denker! Es handelt sich also nicht um Personen, die sich, in sich gekehrt, den Kopf zermartern, um zu bahnbrechenden Erkenntnissen zu gelangen. Sie sind keine Genies, keine Erfinder, keine Intellektuellen und keine Philosophen. Sie tun sich lediglich weniger schwer mit dem Denken. Was keineswegs bedeutet, dass sie sich ganz darauf verlegten. Aber immerhin hat es zur Folge, dass Schlussfolgerungen von jemandem, der als Denkling gilt, gemeinhin als weniger konfus erachtet werden, als wenn der gewöhnliche Jovi von nebenan (oder man selbst) zum selben Schluss gekommen wäre.

Viele von ihnen gibt es nicht. Und die, die es gibt, gehen in der Allgemeinheit auf und werden allenfalls von ihrer direkten Umgebung als etwas andersartig wahrgenommen.

Früher hieß es, Denklinge kämen gehäuft unter den Bewohnern der Halbjupseite[3] vor, also da, wo der Jupiter übergroß am Horizont des Mondes Io steht. Das lässt sich natürlich nicht nachprüfen, aber gegen wir mal davon aus, dass es tatsächlich so war.
Die Halbjupseitler galten auch, alles in allem, einerseits als vielseitig interessiert und andererseits als etwas pathetisch in ihren Ausdrucks- und Verhaltensweisen. Aber wir sollten uns davor hüten, daraus nun einen Zusammenhang zwischen Pathos und Denklingtum zu folgern. Will sagen: Der Denkling (jedenfalls der heutige) fällt keineswegs durch Theatralik auf, und genauso wenig sollte man in einem etwas exaltiert auftretenden Jovianer von vornherein einen Denkling vermuten.
Es gibt Jovianer, die sich diesen vermeintlichen Zusammenhang zunutze machen und versuchen, durch überschwengliches Gebaren den Eindruck zu erwecken, im Denken gut zu sein, also insofern den anderen etwas voraus zu haben. Hier ist Misstrauen angebracht! Der berühmt-berüchtigte Rosmar von Schmauchenfels[4] beispielsweise liebte das gespreizte Wort, war aber gewiss kein Denkling. Ja, er stammte nicht einmal von Halbjupseitlern ab.

Aber kommen wir nun endlich zu den konkreteren Dingen des jovianischen Lebens.

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[1] ^ Die Allzeit war eine aus drei ineinandergreifenden Teil-Triebphasen[5] bestehende Epoche, in der sich die Jovianer mit dem Weltall, Erdphantasien und kulturellen Experimenten befassten. Näheres s. Artikel Allzeit in Band IV.

[2] ^ „Brunnentor“: Das graue Haus im Neuen Zentrum[6]. Hier wurde in der Allzeit[1] philosophiert. Näheres s. Seite Brunnentor in Artikel Das Neue Zentrum des Kapitels Erdphantasien der Allzeit in Band V.

[3] ^ Halbjupseite: Der Streifen zwischen der dauerhaft dem Jupiter zugewandten und der dauerhaft von ihm abgewandten Seite der Io[7]; s. Seite Die verschiedenen Seitler in Artikel Io-Zeit in Band IV.

[4] ^ Rosmar von Schmauchenfels: Erster und einziger Stadtchef von Jupolis (s. Artikel Stadtchefzeit in Band IV).

[5] Trieb- und Knirschphasen: Die kollektiven Stimmungsschwankungen der Jovianer.
Näheres s. Artikel Trieb- und Knirschphasen hier in Band II.

[6] „Neues Zentrum“: Stadtteil am nordöst/GWlichen[8] Rand von Jupolis mit architektonisch außergewöhnlichen Häusern, errichtet im Übergang von der Erdphantasien- zur Kulturausübungs-Etappe der Allzeit[1].
Näheres s. (zur Entstehung:) Die Entstehung des Neuen Zentrums in Artikel Allzeit in Band IV, bzw. (Beschreibung der Häuser:) Artikel Das Neue Zentrum in Kapitel Erdphantasien der Allzeit in Band V.

[7] Die Io, oft auch Heimat-, seltener Rumpelmond genannt, ist der innerste der vier größten, sog. Galileischen Monde des Jupiters. Von hier stammen die Jovianer ursprünglich.

[8] GWlich = gegenwestlich (s. Artikel Die sechs Himmelsrichtungen in Band III).