Band II

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JOVIANER:
Arbeit

Die Tätigkeiten, denen Jovianer und Jovianerinnen im Alltag nachgehen, sind also nie gedanklicher Natur – ein Beruf, der aus „Kopfarbeit“ besteht, wäre unter Jovianern schlicht undenkbar. Selbst auf Gebieten, wo auf den ersten Blick viel Nachdenken erforderlich zu sein scheint, beschränkt sich seine Denkarbeit auf die Kombinierung und Abwägung von Gegebenheiten. Wir können uns den Unterschied so vorstellen, dass das Nachdenken eines menschlichen Erfinders, der mit allen möglichen Materialien und Methoden experimentiert, oder eines Kriminalbeamten, der aus vorgefundenden Fakten und durch Vergleiche seine Schlussfolgerungen zieht, ein anderes ist als etwa das eines Mathematikprofessors, der in der Lage ist, aus dem Stand eine Schultafel mit Formeln vollzukritzeln, die am Ende auch noch stimmen. Letzteres ist es, wozu kein Jovianer jemals imstande wäre (und, seien wir ehrlich, auch die wenigsten von uns).

Wobei „Berufe“ in unserem Sinn ohnehin eher selten sind. Auch das Wort „Arbeit“, auf die Jovianer angewendet, ist meist nicht ganz zutreffend. Das, was wir unter Arbeit verstehen (besonders im Sinne von nahezu lebenslanger regelmäßiger Betätigung), ist dem Jovianer nicht in dieser Form bekannt. Schon gar nicht, einer solchen nachzugehen, um damit seinen Lebensunterhalt zu sichern, zumal sich dies für ihn erübrigt.

Der Jovianer wird von sich aus aktiv („geht arbeiten“), wenn er das Gefühl hat, genug geruht zu haben. Ihn ruft selten eine Pflicht oder Notwendigkeit dazu. Er will sich wieder beschäftigen, das ist alles. Und das tut er nicht in einem erlernten Beruf, sondern er sucht sich – wohl nicht jedes Mal, aber oft – eine neue Aufgabe aus. Wobei dies keineswegs bedeutet, dass er ebendiese Tätigkeit noch nie ausgeübt hätte. Er hat das eventuell schon mehrfach getan, aber wieder verlernt, denn es ist schon länger her, und in der Zwischenzeit hat er sich mit anderen Arbeiten befasst.

Es ist also längst nicht immer dasselbe, was der einzelne Jovi so verrichtet. Es ist mal dieses, mal jenes, und es wird nicht unterschieden zwischen schweren und leichten Arbeiten, weder bei Männern noch bei Frauen. Da wird nichts bevorzugt und nichts gemieden.
Langjährige Beschäftigung mit ein und derselben Sache, Spezialisierung sozusagen, kommt zwar auch vor, ist aber die Ausnahme. Berufe wie unsere gibt es nicht, wie erwähnt, – oder fast nicht, denn manche Jovianer verspüren dann doch eine gewisse Berufung zu etwas. Die Beständigsten von allen sind die Buntbergbauern. Aber selbst die sind nicht lebenslang am Ackern, sondern probieren zumindest mal das Stadtleben für ein paar Jahre und tun dort etwas ganz anderes oder auch gar nichts.
Zu den Berufungen zählen kann man auch Jupolizei[1], Mofaxipilot[2] und Stadtmeertaucher[3]. Auch diese werden länger ausgeübt, wenn auch ebenso wenig fürs ganze Leben.

Die übliche Arbeitsteilung in der jovianischen Gesellschaft läuft größtenteils so ab, dass immer einer da ist, der einem anderen zeigt, wie etwas geht.
Beispiel: Frau von Jupolis[4] steht heute grade mal der Sinn danach, Schubrohre[5] zu gießen. Letztes Jahr hatte sie gar nichts gemacht, das Jahr davor war sie als Gemüsepflückerin auf den Buntbergfeldern[6] zwei Jahre vorher hatte sie bei einem Hausbau mitgeholfen. Wobei es sich um Jupjahre handelt, also jeweils nur hundert Tage.

Sie begibt sich also in den Industriekomplex[7] und lässt sich anlernen – wie gesagt, es ist immer jemand da, der einem etwas zeigt. Das ist das Prinzip. Sollte irgendwo an einer Arbeitsstätte mal nur noch eine Person übrigbleiben, verharrt diese auf diesem Posten, bis wieder jemand zum Angelerntwerden kommt. Das ist kein Zwang, das gehört sich einfach so, und jeder sieht das ein, weil es wichtig ist für den Fortbestand der gemeinsamen Zivilisation.
Da die Jovianer Praktisches ja schnell kapieren, ist die Anlernzeit stets sehr kurz. Allerdings ist sie immer wieder von neuem erforderlich, eben die letzte Beschäftigung mit der Materie schon längere Zeit her ist. Kann also sein, dass Frau von Jupolis schon mehrmals Schubrohre gegossen hat – sie lernt es gerade wieder neu. Und das ist schließlich auch das Interessante daran. Und sie kann es dann gleich jemand anderem zeigen, der auch grade Lust darauf bekommen hat. Und nächstes oder übernächstes Jahr findet sie es vielleicht (zum wiederholten Male?) spannend, die Arbeit in einem Sudhaus[8] kennenzulernen.

Man kann das Fleiß nennen, muss man aber nicht. Nimmermüdes Arbeitstier jedenfalls ist der Jovianer keines. Er hat einfach immer wieder mal das Bedürfnis, etwas zu tun, aber, und das ist wichtig, es ist nicht ein dringlicher Wunsch, sich nützlich zu machen. Jedenfalls kein bewusster.
Denn Jovianer genießen fast vollkommene Nutzfreiheit.

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[1] ^ Ein(e) Angehörige(r) der Jupolizei heißt nicht Jupolizist(in), sondern ebenfalls Jupolizei.

[2] ^ Ein Mofaxi ist ein zum Personen- und Warentransport umgebautes Mofa[9] und Mofaxipilot ist jemand, der ein solches fliegt. Auf unsere Verhältnisse übertragen wäre das in etwa ein Taxifahrer.

[3] ^ Stadtmeertaucher sind die Personen, die das im Stadtmeer[10] verlaufende Schlauch- und Rohrgeflecht der Nahrungsmittelversorgung (s. Artikel Lebensmittelversorgung in Band I) warten, neue Anschlüsse verlegen usw.

[4] ^ „Herr/Frau von Jupolis“ gilt im jovianischen Sprachgebrauch als Allerweltsname und entspricht etwa unserem „Herr/Frau Mustermann“ oder „Otto Normalverbraucher“.

[5] ^ Schubrohre bilden das „Triebwerk“ jedes jovianischen Fluggeräts; siehe auch Luminat in Artikel Energieversorgung in Band I.

[6] ^ Die Felder auf der Buntberginsel[11], auf denen Nutzpflanzen angebaut werden.

[7] ^ Als Industriekomplex wird die Gesamtheit der grauen Gebäude im Westen/GO[12] von Jupolis bezeichnet, in denen Jomit[13] hergestellt und verarbeitet wird.
Näheres s. Artikel Industrie in Band I.

[8] ^ Sudhäuser sind die Gebäude, in denen die Feldfrüchte[14] zu Batzen[15]-Zutaten verarbeitet werden.
Näheres s. Seite Sudhäuser in Artikel Lebensmittelversorgung in Band I.

[9] Mofa: Das geflügelte Privat-Fluggerät der Jovianer zum Aufsitzen (s. Seite Das Mofa in Artikel Fliegzeug in Band III).

[10] Als Stadtmeer wird der Teil des Dunklen Meers[16] bezeichnet, in dem Jupolis liegt (bzw. schwimmt).

[11] Buntberginsel: Die Großinsel im Süden des Jupolis-Archipels[17], auf der die Bunten Berge[18] stehen.
Näheres s. Artikel Buntberginsel in Band I.

[12] GO = Gegenosten (s. Artikel Die sechs Himmelsrichtungen in Band III).

[13] Jomit (ursprüngl.: Iomit) ist der Universalwerkstoff der Jovianer, aus dem so gut wie alles hergestellt werden kann.
Mehr dazu in Artikel Industrie in Band I.

[14] Unter Feldfrüchten versteht man alles, was auf den Feldern der Buntberghöfe wächst und sich zu Batzen[15]-Zutaten verarbeiten lässt.
Näheres s. Artikel Lebensmittelversorgung in Band I.

[15] Batzen sind die Hauptspeise der Jovianer; s. Artikel Lebensmittelversorgung in Band I sowie Ernährung hier in Band II.

[16] Das Dunkle Meer ist der gesamte Grundlikör[19] innerhalb der Inseln des Jupolis-Archipels[17]; ein Teil davon wird als Stadtmeer[10] bezeichnet.

[17] Der Jupolis-Archipel ist die Inselgruppe im Offenen Ozean[20], innerhalb der sich die Stadt Jupolis befindet. Er ist das Thema von Band I.

[18] Bunte Berge: Das „Gebirge“ auf der Buntberginsel[21], das in Wirklichkeit gar keines ist.
Näheres s. Seite Bunte Berge in Artikel Buntberginsel in Band I.

[19] „Grundlikör“ wird die Grundflüssigkeit inner- und außerhalb des Jupolis-Archipels[17] genannt, also des Offenen Ozeans[20] und des Dunklen Meers[16] einschließlich des Stadtmeers[10].

[20] Der Offene Ozean ist der die Inseln des Jupolis-Archipels[17] weiträumig umgebende Grundlikör[19].

[21] Buntberginsel: Die Großinsel im Süden des Jupolis-Archipels[17], auf der die Bunten Berge[18] stehen.
Näheres s. Artikel Buntberginsel in Band I.

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