Band I

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Ozean und Meer

Sechs Inseln sind es, die der Jupolis-Archipel in sich vereinigt, und es sind die einzigen Inseln weit und breit. Darum herum besteht alles nur aus Grundlikör. So wird die Brühe genannt, in der die Inseln liegen, und das Wort Likör kommt von „liquor“ („Flüssigkeit“) und hat in diesem Fall mit einem süßen alkoholischen Getränk so wenig zu tun wie die Worte „Ozean“ und „Meer“ hier in dieser Gegend mit Wasser.

Der Grundlikör um die Inseln des Jupolis-Archipels herum wird von den Jovianern der Offene Ozean genannt. Derjenige zwischen den Inseln heißt Dunkles Meer, und dessen Grundlikör unterscheidet sich farblich, und somit wohl auch in der chemischen Zusammensetzung, vom Offenen Ozean außerhalb.

Die Tiefe des Offenen Ozeans wurde nie untersucht. Fragt man Jovianer, wie tief sie ihn schätzen, bekommt man ohrenzuckende[1] Antworten zwischen 10 und 1000 LiterLiter[2], man hat also keine Ahnung. Aber Likörtiefen spielen auch keine große Rolle im praktischen jovianischen Leben, insofern wieder verständlich.

Jupiter

Der Jupiter    [G]

Auf jeden Fall gibt es ein Likörgefälle zwischen dem Offenen Ozean auf der Außen- und dem Dunklen Meer auf der Innenseite der Inseln, und dies keineswegs nur die Tiefe betreffend, sondern auch den Druck, und dieser schwankt mit den Gezeiten.
Nun wissen wir auf der Erde zwar, was Gezeiten sind, und selbst wenn wir tausend Kilometer weg wohnen vom nächsten Meer (was in Europa z. B. gar nicht möglich ist, aber anderswo sehr wohl), haben wir zumindest schon davon gehört, von Ebbe und Flut und so. Nur sollten wir uns die Gezeiten auf dem Jupiter nicht genauso vorstellen. Erstens, weil es nicht Wasser ist, was dort bewegt wird, zweitens, weil die Wechselwirkung der Anziehungskräfte zwischen Planet und Trabanten dort nicht einmal annähernd mit der zwischen Erde und Erdmond zu vergleichen ist. Statt „unserer“ Ebbe und Flut stellen wir uns also besser die Oberfläche eines gigantischen Wackelpuddings vor, der in einem Kettenkarussell über eine Wellblechpiste gefahren wird. Die Inseln des Jupolis-Archipels sind in diesem Vergleich in den Pudding eingefügte Kekse. Und der Pudding ist ein Schokoladenpudding, und innerhalb der Kekse ist eine Mulde, gefüllt mit einem anderen Pudding, etwa Vanille. Wären wir nun Zuckerkrümel auf den Keksen, würden wir die Bewegungen des Puddings insgesamt nicht wahrnehmen (wie wir ja, auf der Erde stehend, auch nicht merken, wie sie sich samt uns dreht und durchs All saust), wohl aber könnten wir feststellen, dass da ständig der eine Pudding irgendwo auf den anderen drückt, der Schoko auf den Vanillepudding hinein und der Vanille- auf den Schokopudding heraus. Da wir auf den Keksen stehen und die Kekse auf dem Pudding liegen, würden wir zwar keine Höhenunterschiede beobachten, aber doch wechselnde Verschiebungen an den Puddingsgrenzen.
Gut, der Vergleich ist nicht optimal, da unser Wackelpudding eigentlich etwas flüssiger sein und auf einem rotierenden Pfannkuchen liegen und die Wellblechpiste elliptisch in luftleerem Raum verlaufen müsste, aber es sollte damit auch nur illustriert werden, dass wir es mit einer anderen Form von Gezeiten zu tun haben. Die übrigens zusätzlich noch durch die schnelle Rotation des Planeten (der Jupiter dreht sich in nur 10 Stunden um die eigene Achse, so wie die Erde in 24) und die gegeneinander verlaufenden Atmosphärenströmungen beeinflusst werden, und das nicht zu knapp.

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[1] ^ Jovianisches Ohrenzucken entspricht unserem Achselzucken.

[2] ^ Das Liter ist ein jovianisches Längenmaß (wenn auch offenbar leider nicht nur).
Näheres s. Das Liter in Artikel Zeit- und andere Rechnungen in Band III.