Band II

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JOVIANER:
Neider

Bei all diesen Betrachtungen über die Jovianer und ihr Zusammenleben (hierzu siehe insbesondere auch Band III: „Ein zivilisiertes Völkchen“) dürfen wir aber auch ihre dunkle Seite nicht unterschlagen. Und die gibt es.
Nicht alle Jovianer sind ehrlich.
Nicht alle Jovianer sind rechtschaffen.
Und diejenigen, die es nicht sind, werden allgemein als „Neider“ bezeichnet.

Der jovianische Begriff des Neiders ist etwas schwer zu verstehen für uns. Es fängt damit an, dass wir uns wundern müssen, dass der Jovianer das Gefühl des Neids überhaupt kennt. Er hat Anspruch auf alles, er hat Zugang zu allem, er muss nichts bezahlen[1] dafür – und trotzdem kann er Neid entwickeln. Und zwar durchaus die Form von Neid, die die Missgunst in sich trägt. Also nicht etwa etwas Harmloses wie „ich beneide dich um deine schönen Ohren“, sondern das Handfestere „der hat ein funkelnagelneues Mofa und ich nicht, also soll der auch keines haben, ich aber schon, und zwar seines“. Und das, obwohl doch jeder sein eigenes funkelnagelneues Mofa gießen (lassen) kann! Was jedem normalen Jovianer auch klar ist; auf die Idee, jemand anderem sein Mofa wegzunehmen anstatt sich ein eigenes zu besorgen, kommt nur ein Neider. Was wohl auch damit zu tun hat, dass Neider ein niedriges Ansehen genießen und deshalb länger warten müssen, sollte es in der Mofaherstellung gerade einen Engpass geben.
Dazu freilich muss erst mal bekannt sein, dass es sich um einen Neider handelt. Was dann aber nicht unbedingt bekannt bleibt, vor allem wenn man mit der betreffenden Person nicht laufend zu tun hat. Ein bekannter Neider bleibt also vor allem dann ein bekannter Neider, wenn er sich immer wieder mal etwas Unrechtes leistet. Dies ist bei den Jovis also durchaus anders als bei uns, wo einmal straffällig gewordene Leute aus der Nachbarschaft ihr Leben lang mit diesem Makel behaftet bleiben, selbst wenn seit langem schon Unklarheit darüber herrscht, was sie eigentlich getan haben. Dieser Unterschied ist zweifellos nicht zuletzt auf das schlechte Personengedächtnis des Jovianers zurückzuführen.
Ganz offensichtlich ein Neider ist jedenfalls der Unschuh. Ein Unschuh ist jemand, der ohne Fußschuhe herumläuft, und das kann nur einen einzigen Grund haben: Seine Schuhe werden von der Jupolizei[2] unter Verschluss gehalten. Und das deshalb, weil er einer Straftat überführt worden ist. Näheres hierzu im Artikel „Gesellschaftsordnung“ in Band III.

Dass „der Jovianer“ den Neid kennt, muss jetzt aber auch gleich wieder relativiert werden. Denn es sind selbstverständlich nur die Neider, die Neid empfinden können. Dies nimmt man jedenfalls an, und wir Menschen können es getrost auch glauben; schließlich gibt es auch bei uns Leute, die den Neid nicht kennen (was sich andere wiederum nur sehr schwer vorstellen können).
Der Jovianer an sich ist also der Meinung, dass nur Neider neidisch sein können, was freilich im Umkehrschluss heißt, dass jeder, der neidisch sein kann, auch ein Neider ist. Jemanden als solchen zu bezeichnen, von dem diese Eigenschaft nicht allgemein bekannt ist, ist allerdings brandgefährlich und kann einen ein gutes Stück vom eigenen Ansehen kosten.

Neider sind unbeliebt, aber ein Neider ist in Wirklichkeit ja längst noch kein Verbrecher. Aber er könnte nach gängiger Meinung jederzeit zu einem werden, wenn nur die Gelegenheit günstig genug wäre. Sogar bei uns heißt es ja „Gelegenheit macht Diebe“, und der Jovianer meint dies wohl noch wörtlicher als wir.
So versucht also jeder, dem der Neid ein bekanntes Gefühl ist, dies zu verbergen. Vermutlich im Glauben, dass eben doch jeder Jovianer imstande ist, Neid zu verspüren, es nur nicht zugibt, ganz so wie man selbst. Man fragt auch niemanden danach. Denn es käme ja heraus, dass man selbst ein heimlicher Neider ist.

Wir stellen also fest, dass unter Jovianern der Begriff „Neider“ sowas heißt wie „Krimineller im Wartestand“. Ein sehr weitgefasster Begriff, den wir bei uns so niemals anwenden könnten. Es ist sozusagen ein Vorurteil, denn wahrscheinlich gibt es ja auch neidfähige Leute, die diese Veranlagung niemals ausleben, sondern erfolgreich unterdrücken, um anständig zu bleiben. Wahrscheinlich! Wissen tun wir es nicht. Kann schon sein, dass der Jovi das ganz korrekt sieht und wir nicht ganz zutreffende Vergleiche mit der Menschheit ziehen.

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[1] ^ Geld ist den Jovianern unbekannt.

[2] ^ Zu den Aufgaben der Jupolizei s. Seite Aufgaben der Jupolizei in Artikel Gesellschaftsordnung in Band III.