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ROLLERSAGEN DER ROMANTIK:
Der falsche Würfel
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Auch Bine von Wolkenburg war Phantänzerin – kein Wunder als Tochter des „Magiers“. Wobei Bunnt im Grunde kein Magier war; er war nur der Besitzer des Würfels, und die Magie ging einzig von Letzterem aus, zusammen mit der Zauberformel. Jeder hätte damit einem anderen den Jupiter an den Himmel hexen können und von dort wieder fort. Aber Bunnt gab seinen Würfel niemals aus der Hand. Einerseits weil man einen Würfel[1] grundsätzlich sowieso nicht mehr aus der Hand gibt (außer heutzutage in ein Würfelhaus[2]), andererseits weil Bunnt ahnte, dass man damit auch Missbrauch hätte betreiben können, so wie mit anderen Zaubergeräten in anderen Rollersagen.

Bine rollert

Bine rollert fröhlich ihres Wegs    [G]

Und Bine rollerte gerade auf der Jupseite[3] des Mondes herum, frohen Mutes, denn noch war Triebphase[4], aber den Jupiter dort am Himmel sah sie, wie alle Phantänzer, nicht. Was ihr diesmal zum Verhängnis werden sollte.
Für alle anderen durch den Würfel „Verzauberten“, die das Phantänzertum nicht angestrebt hatten, verschwand in der Horizone[5] der falsche Jupiter wieder, und der richtige ging auf. Und wenn man sich vom Phantänzerland diesem Streifen näherte, bewegte sich der falsche Jupiter ebenso auf den Horizont zu, wie es gegenüber der echte tat. Und irgendwann verschwand er hinter dem Horizont, ging also unter, so wie in Gegenrichtung, auf dem Weg zur Mondrückseite, der echte auch. Der Unterschied zwischen Phantänzer und Nicht-Phantänzer war nun der, dass Nicht-Phantänzer an dieser Stelle, wo der falsche Jupiter unterging, gegenüber den echten aufgehen sahen und Phantänzer eben nicht. Und wenn ein Nicht-Phantänzer kehrt machte, zurück in Richtung Gegenjupseite, war für ihn der Spuk vorbei. Der falsche Jupiter ging nicht mehr auf.

Fahrende Phantänzer, so wie Bine jetzt, vermissten ihn auf der Jupseite keineswegs. Im Gegenteil, es war faszinierend, wie stark die eigene Einbildungskraft wirkte. Sie fühlten sich damit ein Stück erhaben. Aber sie wurden dafür von den Jupseitlern[6] oft schief angesehen. Das böse Wort „Jupiterleugner“ machte bereits die Runde. Dabei kannte kaum ein Jupseitler einen solchen, denn rollernde Phantänzer behielten auf der Jupseite ihre Besonderheit lieber für sich, und überhaupt parkten sehr viele davon im Phantänzerland ihr Mofa ein, siedelten sich in der Nähe der Wolkenburg an und blieben unter sich.

Rukuk

Rukuk von Schimpfburg    [G]

Bine allerdings berollerte die Äquatorroute, und die hatte in jener Zeit den Nachteil, dass es auf dieser jupseitig einen anderen Höchst|angesehenen namens Rukulerkukeler gab, genannt Rukuk von Schimpfburg.
Wobei das mit dem Ansehen[7] so eine Sache ist.
Höchstes Ansehen bedeutet nämlich keineswegs, dass man es dabei mit jemandem von besonderer moralischer Kompetenz zu tun hat. Überhaupt ist es nicht ganz leicht, das jovianische Ansehen zu erklären, speziell noch dessen feine Unterschiede zwischen „damals“ und „heute“. Aber stellen wir uns mal eine hochberühmte Schauspielerin vor, die nicht alle Tassen im Schrank hat und charakterlich in der untersten Schublade logiert. Oder einen Multimillionär, dem nachgesagt wird, er habe sein Geld nicht zuletzt mit schmutzigen Geschäften gemacht. Daneben eine Frau wie Mutter Teresa und einen Mann wie Mahatma Gandhi. Und dazu noch den Papst und den Präsidenten von Amerika. Wenn uns gelingt, sie alle als „höchstangesehen“ zu bezeichnen, haben wir das mit dem jovianischen Ansehen einigermaßen begriffen, zumindest dem in der Rollerzeit.

Schimpfburg

Die Schimpfburg    [G]

Rukuk von Schimpfburgs Ansehen begründete sich vor allem auf seine riesige Würfelsammlung. Keiner wusste, woher er die alle hatte, aber seine Burg war voll davon, und er beeindruckte damit gern jeden, der vorbeikam. Und genau deshalb hatte er seine Burg mitten auf der Äquatorroute errichtet, als er sein Mofa einparkte, denn kein Roller und keine Rollerin auf der Io bereiste diese Route nicht mindestens einmal im Rollerleben. Manche waren überhaupt nur auf der Äquatorroute unterwegs.
Rukuk galt als unangenehme Person, als Schurke gar, und in dieser Sage war er das Böse schlechthin. Denn er verschaffte sich Macht und nutzte sie aus. Und überall, wo das Phänomen Macht ins Spiel kommt, trägt in den Rollersagen die entsprechende Figur die Initialen R.v.S.
Das ist natürlich kein Zufall, sondern weist eindeutig auf Rosmar von Schmauchenfels[8] hin, den gesellschaftlichen Fehltritt des Jovianervolks in der Zeit kurz nach der Besiedlung des Jupiters.
In manchen Varianten dieser Sage hier ist R.v.S. eine Frau (ebenso Bunnt, während Bine dann deren Sohn ist statt Tochter und Engif, den wir noch kennenlernen werden, wiederum eine Frau), aber die Initialen sind immer dieselben.
Wir haben uns bei dieser Mustererzählung für die vorliegende Geschlechterzuteilung entschieden, weil für uns Menschen eine Bösewichtin etwas schwerer vorstellbar wäre.

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[1] ^ Würfel – egal aus welchem Material – gelten bei den Jovianern als Wertgegenstände.
Näheres s. Seite Der Würfel in Artikel Joval und Würfel in Band III.

[2] ^ Ein Würfelhaus ist ein Haus, in dem Würfel[1] aufbewahrt werden, eine Art Bank.
Näheres s. Seite Würfelhäuser in Artikel Joval und Würfel in Band III.

[3] ^ Jupseite: Die Seite der Io[9], die dauerhaft dem Jupiter zugewandt ist; s. Seite Die verschiedenen Io-Seiten in Artikel Io-Zeit in Band IV.

[4] ^ Trieb- und Knirschphasen: Die kollektiven Stimmungsschwankungen der Jovianer.
Näheres s. Artikel Trieb- und Knirschphasen in Band II.

[5] ^ Die Horizone ist der Streifen zwischen der Jupseite[3] und der Gegenjupseite[10] der Io[9]. In der Horizone steht der Jupiter am Horizont.

[6] ^ Jupseitler: Ehem. Bewohner der Jupseite[3]; s. Seite Die verschiedenen Seitler in Artikel Io-Zeit in Band IV.

[7] ^ Das Ansehen (die Wertschätzung) ist das „Kapital“ des Jovianers, der ja kein Geld kennt. Näheres s. Artikel Das Ansehen in Band III.

[8] ^ Rosmar von Schmauchenfels: Erster und einziger Stadtchef von Jupolis (s. Artikel Stadtchefzeit in Band IV).

[9] Die Io, oft auch Heimat-, seltener Rumpelmond genannt, ist der innerste der vier größten, sog. Galileischen Monde des Jupiters. Von hier stammen die Jovianer ursprünglich.

[10] Gegenjupseite: Die Seite der Io[9], die dauerhaft vom Jupiter abgewandt ist; s. Seite Die verschiedenen Io-Seiten in Artikel Io-Zeit in Band IV.