Band V

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ANDERE MAROTTEN:
Graffiti und Stadtputz
Die beiden Triebphasen[1] von Graffiti und Stadtputz sind eigentlich, kulturell gesehen, ziemlich unbedeutend, da sie keine Relikte[2] hinterlassen haben. Aber sie sind ein selten schönes Beispiel für „Reversionsphasen“. Das ist die jovisophische[3] Bezeichnung für aufeinander folgende, durch eine Knirschphase getrennte Triebphasen, bei denen die zweite das Gegenteil der ersten bewirkt. So wurden in der Graffitiphase die Häuser von Jupolis ausschweifend bunt bemalt („Graffitis“ sind ja Wandbemalungen) – in der Stadtputzphase dann wurde das Gegenteil getan: Alle Graffitis wurden, ebenso leidenschaftlich, wieder entfernt.
Das macht die Knirschphase dazwischen besonders interessant, denn offensichtlich ist sie damit eine der wenigen ihrer Art, die sich ganz spezifisch auf die Aktivitäten der vorausgegangenen Triebphase beziehen. Meist ist die „Zerknirschung“ in den Knirschphasen nämlich weitgehend diffus: Der Jovi erachtet die Errungenschaften der gerade ausgelaufenen Triebphase zwar als unnütz, stellt aber danach selten Anstrengungen an, sie rückgängig zu machen. Nur bei Reversionsphasen ist dies der Fall.

Auf ein paar der Plätter[4] in der Asservatenstube[5] sind Notizen und Zeichnungen zu finden, aus denen hervorgeht, dass die Stadt gegen Ende der Graffitiphase wahrlich beeindruckend ausgesehen haben muss. Da dürfte kein Quadratliter[6] Hauswand unbemalt bzw. -beschriftet geblieben sein. Es muss damals sogar spezielle Leitern oder Gerüste gegeben haben, um jeden Zipfel Außenfläche erreichbar zu machen.
Gemalt wurden allerlei Muster, aber auch Roller-Motive, also Szenen aus den verschiedensten Rollersagen[7], wie sie in der Romantik[8] nun mal beliebt und verbreitet waren. Darunter auch alle möglichen Untiere aus dem Lande Bo[9]. Der Anblick der Stadt war damals wohl schön und schauerlich zugleich.
Was die „Beschriftung“ angeht, hat vermutlich jeder seine eigene Schrift erfunden, denn eine allgemeingültige war ja längst nicht mehr gebräuchlich[10]. Jedenfalls versichern die Burgdamen[11], kein Wort von den Schriftzeichen entziffern zu können, die auf den Skizzenplättern auf die Häuser geschrieben sind. So konnte also auch jeder mit seiner Schrift, die nur er selber lesen konnte, draußen auf der Hauswand, seiner eigenen oder der seines Nachbarn, andere verunglimpfen, wenn er denn wollte.
Vielleicht war es das, was dazu führte, dass in der Stadtputzphase dann alles so gründlich wieder entfernt wurde. Vielleicht hatte jeder insgeheim die dumpfe Befürchtung, sein Nachbar habe ihn womöglich an einer Wand mit Schimpfworten überzogen und lache sich ins Fäustchen, weil außer ihm es keiner lesen konnte. So wie Kinder jemandem bei geschlossenem Mund die Zunge rausstrecken.

Etwa so muss es damals ausgesehen haben

Etwa so muss es damals ausgesehen haben    [G]

Auch wenn es insgesamt schon nochmal reichlich Arbeit gemacht haben muss: Das Entfernen von Farbe auf Jomit[12] ist nicht schwierig. Und die Häuser von Jupolis sind allesamt aus Jomit. Einzige Ausnahme ist die Alte Burg[13] auf der Labsalinsel[14]. Diese war laut Labsalie von Altburg-Schmausenfeld[15] ebenfalls übermütig bemalt, vielleicht auch in Familienschrift[16] beschrieben, zweifellos aber mit Motiven aus den Rollerromanen geschmückt, denn kaum einer war so Feuer und Flamme für Rollersporen[17] wie Surfan, der damalige Burgherr. Mit welcher Art Farbe er die steinerne Burg bemalt hatte und wie er sie wieder abgekriegt hat, ist nicht überliefert.
Beim Jomit funktioniert es jedenfalls so, dass einfach in alle Farbflächen und Linien etwa in der Mitte ein Punkt in der Grundfarbe des Hauses gesetzt und der Farbfüller[18] außerhalb auf die Fremdfarbe geträufelt wird. Diese kehrt sich dabei in die Hausfarbe um – die Bemalung (zumindest an dieser Stelle und in dieser Farbe) ist entfernt. Bei einem mit Graffitis übersäten Einfamilienhaus konnte der Vorgang aber schon ein paar tausend Mal notwendig gewesen sein. Bei größeren Häusern noch entsprechend öfter.
Es heißt, der vorrätige Farbfüller sei schon bald nach Beginn der Stadtputzphase wegen zu großer Nachfrage ausgegangen, und die Jupolitaner[19] hätten zwei bis drei Jupjahre[20] mit der Graffiti-Entfernung pausieren müssen, bis wieder genügend davon vorhanden war. Diese Zeit hätten sie damit verbracht, ihre Häuser auch innerhalb zu säubern sowie die Schwimmteller[21] besonders rein zu halten. Dabei sei damals die „Kehrwoche“ erfunden worden: Da das Säubern des Schwimmtellers eine sehr beliebte Betätigung ist, war es bei Mehrfamilienhäusern vermutlich zu Streitigkeiten kommen, wer sie ausführen darf. Zur Abhilfe wurde die Regelung eingeführt, dass jede Woche[22] ein anderer Haushalt hierauf ein Vorrecht hat.

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[1] ^ Trieb- und Knirschphasen: Die kollektiven Stimmungsschwankungen der Jovianer.
Näheres s. Artikel Trieb- und Knirschphasen in Band II.

[2] ^ Als Phasenrelikte werden Gegenstände und Verhaltensformen bezeichnet, die nach Abklingen der Triebphase[1], in der sie aufkamen, in Gebrauch bleiben.
Näheres s. Seite Phasenrelikte in Artikel Trieb- und Knirschphasen in Band II.

[3] ^ „Jovisophisch“ = zur Jovisophie gehörig, auf ihr beruhend. Die Jovisophie ist die Lehre von der jovianischen Zivilisation, also der Kultur der Jovianer.

[4] ^ Ein Platt (Mehrzahl: Plätter, Verkleinerungsform: Plättchen) ist eine dünne Platte aus Halbhartjomit[12] (identisch mit Halbweichjomit).

[5] ^ Die Asservatenstube ist eine Sammlung von alten Skizzen, Notizen in Familienschrift[16] und „Antiquitäten“ in der Alten Burg[13], verwaltet von Mitgliedern der Familie von Altburg-Schmausenfeld[23] (s. Seite Die Asservatenstube in Band IV).

[6] ^ Das Liter ist ein jovianisches Längenmaß (wenn auch offenbar leider nicht nur).
Näheres s. Seite Das Liter in Artikel Zeit- und andere Rechnungen in Band III.

[7] ^ Rollersagen oder -romane waren Geschichten über eine romantisierte Vergangenheit der Jovianer im Zeitalter der Romantik[8].

[8] ^ Die „Romantik“ ist eine Zeitspanne in der jovianischen Geschichte (ca. 150 – ca. 330 nGU[24]), in der die – auf Sporen[25] gesprochenen – Rollersagen[7] sehr verbreitet waren.
Näheres s. Artikel Romantik in Band IV.

[9] ^ Das Land Bo war eine sagenumwobene Gegend auf der Io[26].
Näheres s. Seite Das Land Bo in Artikel Fabelwesen des Kapitels Andere Lebewesen in Band II.

[10] ^ Die jovianische Schrift ist ausgestorben (s. Artikel Sprache, Schrift und Sporen in Band III). Zwar kann der Jovianer nach wie vor schreiben, aber kein anderer kann es lesen, und meistens bald auch er selbst nicht mehr. Einzige Ausnahme: die Familienschrift[16].

[11] ^ Als „Burgdamen“ werden die drei gegenwärtigen Bewohnerinnen der Alten Burg[13] bezeichnet, also Labsalie[15] von Altburg-Schmausenfeld[23] und ihre beiden Töchter, hauptsächlich in ihrer Eigenschaft als Verwalterinnen der Asservatenstube[5].

[12] ^ Jomit (ursprüngl.: Iomit) ist der Universalwerkstoff der Jovianer, aus dem so gut wie alles hergestellt werden kann.
Mehr dazu in Artikel Industrie in Band I.

[13] ^ Die „Alte Burg“ ist das Steingebäude auf dem Jupolis-Archipel[27], das noch von der Io[26] stammt und von Alp von Altburg[28] auf der Labsalinsel[14] neu aufgebaut wurde.
Näheres s. Seite Alte Burg in Artikel Labsalinsel in Band I.

[14] ^ Die Labsalinsel ist die Insel im Südost/GW[29] des Jupolis-Archipels[27].
Näheres s. Artikel Labsalinsel in Band I.

[15] ^ Labsalie von Altburg-Schmausenfeld[23]: Derzeitige Bewohnerin der Alten Burg[13] und Hüterin der Asservatenstube[5], zusammen mit ihren Zwillingstöchtern.

[16] ^ Die „Familienschrift“ ist die Schreibschrift derer von Altburg-Schmausenfeld[23], die einzige bekannte Schrift, die noch von Generation zu Generation weitergegeben wird.
Näheres s. Seite Die Familienschrift in Band IV.

[17] ^ Rollersporen sind mit Rollersagen[7] besprochene Buntbergsporen[25]

[18] ^ „Farbfüller“ ist eine farblose, ölige Flüssigkeit, die dafür sorgt, dass eine mit einer farbigen Konturlinie umrahmte Fläche komplett die Farbe dieser Konturlinie annimmt.

[19] ^ Jupolitaner = Bewohner von Jupolis

[20] ^ Jupjahr nennen wir das Jahr nach jovianischer Zeitrechnung. Ein Jupjahr entspricht dem Zeitraum nach 41,3 Erdentagen. Näheres s. Artikel Zeit- und andere Rechnungen in Band III.

[21] ^ Schwimmteller: Die runde Scheibe, auf der in Jupolis üblicherweise ein Haus schwimmt

[22] ^ Eine jovianische Woche hat 4 Tage.

[23] Familie von Altburg-Schmausenfeld: Die auf Alp von Altburg[28] und Hedi von Schmausenfeld[30] zurückgehende Familie, wohnhaft in der Alten Burg[13], mit eigener Schrift („Familienschrift“[16]); Hüter der Asservatenstube[5].

[24] nGU = „nach Großem Umzug[31]“, die jovisophische[3] Kalenderrechnung gewissermaßen.

[25] Die Sporen der Bunten Berge[32] werden als Kommunikations- und Speichermedium genutzt.
Näheres hierzu s. Artikel Sprache, Schrift und Sporen in Band III, bzw. (Herkunft) Buntbergsporen in Artikel Buntberginsel in Band I.

[26] Die Io, oft auch Heimat-, seltener Rumpelmond genannt, ist der innerste der vier größten, sog. Galileischen Monde des Jupiters. Von hier stammen die Jovianer ursprünglich.

[27] Der Jupolis-Archipel ist die Inselgruppe, innerhalb der sich die Stadt Jupolis befindet. Er ist das Thema von Band I.

[28] Alp von Altburg, genannt Kapitän Alp: Leiter der Umsiedlung der Jovianer von der Io[26] auf den Jupiter (s. Artikel Artikel Der Große Umzug in Band IV), Begründer der Asservatenstube[5]

[29] GW = Gegenwesten (s. Artikel Die sechs Himmelsrichtungen in Band III).

[30] Hedi von Schmausenfeld, zuvor von Schmauchenfels, zuvor von Fadland: zunächst Rosmars[33] Frau (s. Artikel Stadtchefzeit in Band IV), später Alps[28].

[31] Als „Großer Umzug“ wird die Umsiedlung der Jovianer von der Io[26] auf den Jupiter bezeichnet.
Näheres s. Artikel Der Große Umzug in Band IV.

[32] Bunte Berge: Das „Gebirge“ auf der Buntberginsel, das in Wirklichkeit gar keines ist.
Näheres s. Seite Bunte Berge in Artikel Buntberginsel in Band I.

[33] Rosmar von Schmauchenfels: Erster und einziger Stadtchef von Jupolis (s. Artikel Stadtchefzeit in Band IV), damals noch Lebenspartner von Hedi[30].

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