Band V

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Hausbildmalerei
Die Hochblüte der Hausbildmalerei wird in der rekonstruierten[1] Geschichte von der Jovisophie[2] um ca. 340-370 nGU[3] angesetzt, aber das muss nicht stimmen. Als sehr wahrscheinlich gilt nur, dass es nach der Graffiti- und Stadtputz-Mode gewesen ist, dass also sozusagen der „zügellosen“ Malerei an den Außenwänden der Häuser ein „zivilisiertes“ Schmücken der Innenräume folgte. Die Graffiti-Mode wiederum war eine Begleiterscheinung der Romantik[4], wahrscheinlich etwa in deren Mitte, nach der anschließenden Knirschphase[5] folgte der Stadtputz, und gegen Ende der Romantik kam die Surfmode auf (was wir zuverlässig wissen, da Surfan[6] bekanntlich ein fanatischer Anhänger der Rollersagen[7] war), also werden die ersten Hausbilder wohl nach der Romantik (ca. 150-330 nGU) entstanden sein. Wäre die Hausbildmalerei selbst auch noch in die Romantik gefallen, wäre sie von Rollermotiven[8] dominiert gewesen. Das aber war sie nicht.Aber natürlich war der Röhrende Hirsch, der heute alle jovianischen Behausungen ziert, damals beileibe nicht das einzige Hausbildmotiv. In der Asservatenstube[9] befinden sich allerdings auch nur noch wenige weitere, nämlich die Schöne Ilonka, das Alpenglühen, der Sonnenuntergang am Meer, die Sonnenblumen und die Roten Rosen. Dabei dürfte es noch Dutzende weitere gegeben haben. Sie alle sind verschollen bzw. wurden vernichtet oder mit dem Röhrenden Hirsch übermalt.

Hausbildmotive

   [G]

Niemand weiß, warum sich der Hirsch als alleiniges Bild durchsetzte, ebenso wie der (heutige) Kult ums Hausbild eigentlich unverständlich ist. Denn der Jovianer weiß nicht, was er da an der Wand hängen hat. Für ihn ist der Hirsch ein ziemlich abstraktes Motiv. Der Jovi kennt keine Hirsche. Aber auch weder Schöne Ilonkas noch die Alpen, geschweige denn deren Glühen, ebensowenig Rosen oder Meer. Es scheint, als zöge sich etwas wie eine Grundschwingung für Kitsch durch unser Sonnensystem, und wer weiß, vielleicht besteht auch bei uns die abstrakte Kunst in Wirklichkeit aus Kitschmotiven, die wir nur nicht als solche erkennen? Über die in einer anderen Kultur aber herzhaft gelacht werden würde? Es ist doch schließlich seltsam, was abstrakt malenden Künstlern so alles einfällt. Da stoßen ja sogar wir an die Grenze des „Warums“, hören auf, danach zu fragen. Vielleicht fangen diese Künstler besagte Grundschwingung auf, ohne sich dessen bewusst zu sein? Wir werden es wohl nie erfahren.

Jedenfalls befindet sich in jedem jovianischen Haushalt ein Bild an der Wand, von dem wohl keiner sagen kann, dass es ihm gefällt, aber wahrscheinlich auch nicht, dass es ihm ausdrücklich missfallen würde. Der Jovi hält es einfach für ein Stück kultureller Errungenschaft.

In der Triebphase, als die Hausbilder in großer Stückzahl entstanden und noch mit einer Vielfalt von Motiven, müssen zahlreiche Leute damit beschäftigt gewesen sein, sie zu malen. Wahrscheinlich mit unterschiedlicher Begabung. Auch heute noch sind nicht alle Hirsche gleich gut gemalt (wobei der Jovi da sicherlich andere Auffassungen von Qualität hat als wir). Es kann also nicht daran liegen, dass der Hirsch etwa deshalb die anderen Motive verdrängt hätte, weil er einem Atelier entstammte, das nun einmal die höchstwertigen Bilder herstellte. Hausbilder entstammen ohnehin nicht einem einzelnen Atelier, bzw. einer speziellen Künstlerwerkstatt, sondern liegen in der „Färberei[10]“, dem türkisfarbenen Haus im Neuen Zentrum[11], halbfertig herum, und jeder kann nach Lust und Laune etwas zur Entstehung beitragen.
Das mag in der Phase der eigentlichen Hausbildmalerei schon so gewesen sein, nur gab es da die „Färberei“ noch nicht. Dieses Gebäude ist, wie das gesamte Neue Zentrum, ein Phasenrelikt[12] der Allzeit[13].
Wahrscheinlich lagen die ursprünglichen Hausbilder einfach in der Stadt herum, auf den Schwimmtellern[14] vor den Häusern, vielleicht vor jedem Haus das, das es einmal von innen zieren sollte. Das würde dem Charakter einer Triebphase am ehesten entsprechen und an die vorausgegangene Graffiti-Mode anknüpfen. So dürfen wir uns denn vorstellen, dass alle in der Stadt spazieren gingen und mal an diesem, mal an jenem Hausbild ein bisschen herumpinselten.

Wobei das Wort „pinseln“ nicht ganz korrekt ist, denn der Jovi malt mit Vibrationsstiften[15], deren Schwingungsfrequenz die Farbe bestimmt. Größere Flächen werden so eingefärbt, dass die Konturen mit einem solchen Stift gezeichnet und die Fläche anschließend mit etwas Farbfüller[16] betropft wird. Die polychromative Eigenschaft des Jomits[17] führt dazu, dass sich die Fläche dadurch gleichmäßig mit der Umrissfarbe füllt.
Da anschließend evtl. erforderliche Farbabstufungen und -verläufe mühsame Handarbeit sind, ist es möglich, dass der Hirsch von allen ursprünglichen Motiven vom Bildaufbau her am leichtesten zu bewerkstelligen war. Vielleicht entstanden aus diesem Grund damals schon vorwiegend Hirsche, und die Jovianer wollten nach und nach alle dasselbe haben, was die meisten bereits hatten. Und all die anderen Motive gerieten darüber in Vergessenheit. Auch dies vielleicht damals schon.
Heute allerdings sieht man verschiedentlich schon eine neue Art von Hausbildern, die in zuvor nie gesehenen, gesprenkelten Farbschattierungen ausgeführt sind. Eine neue Maltechnik zeichnet sich ab.
Röhrende Hirsche freilich stellen auch diese Bilder dar.

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[1] ^ Historische Ereignisse können nur rekonstruiert wiedergegeben werden, da die Jovianer keine Geschichtsschreibung kennen; hierzu s. Seite Rekonstruktion der Historie in Band IV.

[2] ^ Die Jovisophie ist die ehrwürdige Lehre von der jovianischen Zivilisation. Die Jovisophische Gesellschaft[18] (JoSoGes) vertritt diese Lehre, die sich bewusst nicht „Wissenschaft“ nennt, auf der Erde.

[3] ^ nGU = „nach Großem Umzug[19]“, die jovisophische[20] Kalenderrechnung gewissermaßen.

[4] ^ Die „Romantik“ ist eine Zeitspanne in der jovianischen Geschichte (ca. 150 – ca. 330 nGU[3]), in der die – auf Sporen[21] gesprochenen – Rollersagen[7] sehr verbreitet waren.
Näheres s. Artikel Romantik in Band IV.

[5] ^ Trieb- und Knirschphasen: Die kollektiven Stimmungsschwankungen der Jovianer.
Näheres s. Artikel Trieb- und Knirschphasen in Band II.

[6] ^ Surfan von Altburg-Schmausenfeld: Entdecker des Surfbretts (s. Artikel Das Surfen hier in Band V), Entdeckungsreisender.

[7] ^ Rollersagen oder -romane waren Geschichten über eine romantisierte Vergangenheit der Jovianer im Zeitalter der Romantik[4].

[8] ^ Bilder mit Rollern[22] und Burgen aus den Rollersagen[7] der Romantik[4].

[9] ^ Die Asservatenstube ist eine Sammlung von alten Skizzen, Notizen und „Antiquitäten“ in der Alten Burg[23] (s. Seite Die Asservatenstube in Band IV).

[10] ^ „Färberei“: Das türkise Haus im Neuen Zentrum[11]. Hier fand in der Allzeit[13] Malerei statt.
Näheres s. Seite Färberei in Artikel Das Neue Zentrum des Kapitels Erdphantasien der Allzeit hier in Band V.

[11] ^ „Neues Zentrum“: Stadtteil am nordöst/GWlichen[24] Rand von Jupolis mit architektonisch außergewöhnlichen Häusern, errichtet im Übergang von der Erdphantasien- zur Kulturausübungs-Etappe der Allzeit[13].
Näheres s. (zur Entstehung:) Die Entstehung des Neuen Zentrums in Artikel Allzeit in Band IV, bzw. (Beschreibung der Häuser:) Artikel Das Neue Zentrum in Kapitel Erdphantasien der Allzeit hier in Band V.

[12] ^ Als Phasenrelikte werden Gegenstände und Verhaltensformen bezeichnet, die nach Abklingen der Triebphase[5], in der sie aufkamen, in Gebrauch bleiben.
Näheres s. Seite Phasenrelikte in Artikel Trieb- und Knirschphasen in Band II.

[13] ^ Die Allzeit war eine aus drei ineinandergreifenden Teil-Triebphasen[5] bestehende Epoche, in der sich die Jovianer mit dem Weltall, Erdphantasien und kulturellen Experimenten befassten. Näheres s. Artikel Allzeit in Band IV.

[14] ^ Schwimmteller: Die runde Scheibe, auf der in Jupolis üblicherweise ein Haus schwimmt

[15] ^ Der Vibrationsstift malt auf Jomit[17] in der Farbe, auf deren Wellenlänge er eingestellt ist. D. h., er malt eigentlich gar nicht, sondern bringt das Jomit dazu, auf der betreffenden Fläche die betreffende Farbe anzunehmen.

[16] ^ „Farbfüller“ ist eine farblose, ölige Flüssigkeit, die dafür sorgt, dass eine mit einer farbigen Konturlinie umrahmte Fläche komplett die Farbe dieser Konturlinie annimmt.

[17] ^ Jomit (ursprüngl.: Iomit) ist der Universalwerkstoff der Jovianer, aus dem so gut wie alles hergestellt werden kann.
Mehr dazu in Artikel Industrie in Band I.

[18] Die Jovisophische Gesellschaft (JoSoGes) ist die Gemeinschaft der Menschen, die sich zum Ziel gesetzt haben, die Menschheit, also die Erdbewohner, über die Existenz der Jovianer, also der Jupiterbewohner, aufzuklären.

[19] Als „Großer Umzug“ wird die Umsiedlung der Jovianer von der Io[25] auf den Jupiter bezeichnet.
Näheres s. Artikel Der Große Umzug in Band IV.

[20] „Jovisophisch“ = zur Jovisophie[2] gehörig, auf ihr beruhend

[21] Die Sporen (Samen?) der Bunten Berge[26] werden als Kommunikations- und Speichermedium genutzt.
Näheres hierzu s. Artikel Sprache, Schrift und Sporen in Band III, bzw. (Herkunft) Buntbergsporen in Artikel Buntberginsel in Band I.

[22] „Roller“ sind legendäre Iovianer[27], die auf rollenden[28](!, nicht fliegenden) Mofas[29] über die Io[25] vagabundiert sein sollen, wie in den Rollersagen[7] berichtet wird. Während der Romantik[4] wurden auch die Anhänger dieser Rollersagen als Roller bezeichnet.
Näheres s. Die Roller in Artikel Romantik in Band IV.

[23] Die „Alte Burg“ ist das Steingebäude auf dem Jupolis-Archipel[30], das noch von der Io[25] stammt.
Näheres s. Seite Alte Burg in Artikel Labsalinsel in Band I.

[24] GWlich = gegenwestlich (s. Artikel Die sechs Himmelsrichtungen in Band III).

[25] Die Io, oft auch Heimat-, seltener Rumpelmond genannt, ist der innerste der vier größten, sog. Galileischen Monde des Jupiters. Von hier stammen die Jovianer ursprünglich.

[26] Bunte Berge: Das „Gebirge“ auf der Buntberginsel, das in Wirklichkeit gar keines ist.
Näheres s. Seite Bunte Berge in Artikel Buntberginsel in Band I.

[27] Iovianer (also mit „I“ statt mit „J“) hießen die Jovianer, als sie noch auf der Io[25] lebten.

[28] In der Zeit, in der die Rollersagen[7] spielen, galt die Flugfähigkeit des Mofas[29] als noch unentdeckt.

[29] Mofa: Das geflügelte Privat-Fluggerät der Jovianer zum Aufsitzen (s. Seite Das Mofa in Artikel Fliegzeug in Band III).

[30] Der Jupolis-Archipel ist die Inselgruppe, innerhalb der sich die Stadt Jupolis befindet. Er ist das Thema von Band I.

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