zurück Zum Anfang Zum Ende weiter
ROLLERSAGEN DER ROMANTIK:
Der falsche Würfel
S.zurück1234567891011weiter

Bunnt und seine Frau, zunächst natürlich schockiert und in großer Sorge, heckten einen Plan aus, wie sie ihre Tochter aus den Fängen des Bösewichts befreien konnten, ohne seine Forderung zu erfüllen, und sie zogen dafür Engif ins Vertrauen.

Engif

Engif von Schwefelquell    [G]

Ehenagifund, genannt Engif von Schwefelquell, war ein fahrender Roller, der hier im Phantänzerland eigentlich das Ende der Knirschphase hatte abwarten wollen – und wohl gehofft hatte, Bine einmal wiederzusehen. In manchen Versionen wird er nämlich als heißblütiger Verehrer Bines beschrieben, der ihr schon zahlreiche Minnesänge gewidmet hatte, ohne bisher ihr Herz gewonnen zu haben. In anderen Fassungen ist es umgekehrt: Bines Herz schlug schon lange für Engif allein, weil er der Edelste unter den Rollern weit und breit gewesen sein soll, aber er hatte es noch nicht bemerkt, oder einfach noch nicht zu glauben gewagt, dass das vorzüglichste aller Fräulein des gesamten Mondes ausgerechnet ihn und so weiter.

„Sagt an, edler Engif,“ sprach Bunnt vertraulich zu ihm, „wärt Ihr bereit, trotz der Phase des Knirschens an meiner Statt ins Land der Lärmenden zu ziehen und zur Befreiung meiner Tochter beizutragen? Verneint getrost, wenn Euch der Zeitpunkt ungeeignet dünkt.“
Engif verneinte nicht, sondern sagte augenblicklich zu.
Und Bunnt eröffnete ihm, er, Engif, solle zu Rukuk fahren und so tun, als überbrächte er, wie gefordert, den Würfel. Aber es solle ein falscher sein, ein wirkungsloses Duplikat.

An dieser List gab es nun freilich zwei Knackpunkte, auf die Engif sofort hinwies, aber Bunnt und seine Frau hatten sie bereits bedacht.

Zum einen könnte Rukuk verlangen, dass die Wirksamkeit des Würfels vorgeführt wird, ehe er Bine herausgibt.
„Dem mag so sein“, sagte Bunnt hierzu, „und deshalb sollt Ihr auch den echten Würfel mit Euch führen. Mittels dessen präsentiert Ihr seine Wirkung, zur Aushändigung jedoch gelangt der falsche.“

Bunnt und Engif

Bunnt erläutert Engif seinen Plan    [G]

Zum anderen sei möglich, dass Rukuk genau wisse, wie der Zauberwürfel aussieht, entweder weil er ihn selbst schon gesehen habe, wenn er in seiner Rollerzeit zu denen gehört hat, die sich davon haben bezaubern lassen, unerkannt, weil damals noch bedeutungslos und einer von vielen. Oder er habe sich von anderen über das Aussehen des Objekts seiner Begierde genauestens informieren lassen.
Bunnt lächelte, der Situation zum Trotz. „Dies, treuer Engif, ist sogar sehr wahrscheinlich“, sagte er. „Doch seht hier und entscheidet, welches davon der Richtige sei.“ Und er legte zwei völlig identisch aussehende Würfel vor Engif auf den Tisch. Der nahm sie verdutzt in die Hände.
„Eine deutliche Verschiedenheit erfahre ich im Gewichte“, sagte Engif, „im Aussehen jedoch gleichen sie einander wie ein Dudel dem anderen.“ (Was nun nicht zwangsläufig heißt, dass die Dudel[1] tatsächlich schon auf der Io bekannt waren! Die Erzähler der Geschichte allerdings schienen eindeutig dieser Ansicht anzuhängen.)
Bunnt erklärte ihm, dass das Gewicht zur Unterscheidung einzig für ihn, Engif, von Bedeutung sei, denn Rukuk werde ja nur einen davon erhalten, und niemand außer Bunnt habe den Zauberwürfel jemals in der Hand gehabt, also könne Rukuk auch nichts über sein Gewicht wissen. Aber der schwerere sei selbstverständlich der falsche, denn je leichter, desto eher könnte er das Misstrauen des Unholds wecken, wohingegen ein schwerer Würfel eher unverdächtig sei.

In dieser Version der Erzählung bekommt Engif also gleich beide Würfel ausgehändigt, in einer anderen muss er das Duplikat unterwegs erst suchen, und zwar im Land Bo[2], wo er dabei von einem Iodel telepathisch unterstützt wird, dem Bunnt vor langer Zeit einmal das Leben gerettet hatte, wobei das Iodel in einer wieder anderen Fassung ein Vio ist (s. Artikel „Fabelwesen“ in Band II).
Außerdem gibt es natürlich noch die verschiedensten Ausschmückungen, wie Bunnt zu seinem Würfel überhaupt einst gekommen war, bzw. in diesem Fall zu beiden, aber darauf verzichten wir hier zugunsten eines flüssigen Ablaufs der Geschichte.

Engif zweifelt

Engif unterwegs, von Zweifeln befallen    [G]

Engif macht sich also auf den Weg. Dieser führt ihn durch Bo, so oder so, wo er die diversesten Abenteuer zu bestehen hat, auch in den anderen Varianten der Sage als der, in der er den falschen Würfel suchen muss. Aber auch das lassen wir alles hier weg, sonst wird’s wirklich zu lang. Außerdem hatte er es auch so schon schwer genug, denn in Knirschphasen läuft vieles nicht so richtig. Da der Jovi in solchen Zeiten dauernd Sinn und Zweck von allem in Frage stellen muss, legte auch Engif zahlreiche Pausen ein, in denen er neben seinem Mofa saß und grübelte, ob er nicht doch besser umkehren sollte und überhaupt das Rollerdasein an den Nagel hängen, da Bunnts List nie und nimmer gelingen könne, ganz abgesehen davon, dass er von Bine niemals erhört werden würde (Letzteres jedenfalls in der Minne-Version).

Derweil war der „grobschlächtige Kerl“, Rukuks Bote, nach Kräften vertröstet und hingehalten worden. Man bewirtete ihn fürstlich und gab ihm zu verstehen, dass Bunnts Bedenkzeit eine geraume Weile dauern könne. So nistete der Kerl sich im Phantänzerland ein und ließ es sich wohlergehen, soweit dies in der Knirschphase eben möglich ist.
Dass keine Jupiter-Herbeizauberungen mehr stattfanden, fiel indessen nicht auf, denn solche hatte es in Knirschphasen nie gegeben – des Iovianers[3] Gemüt war in solchen Zeiten für Wunder u. dgl. einfach nicht empfänglich.

S.zurück1234567891011weiter

Zum Seitenanfang

[1] ^ Dudel sind die (einzigen) Haustiere der Jovianer. Jedenfalls heute. Näheres s. Artikel Dudel des Kapitels Andere Lebewesen in Band II.
Man weiß nicht sicher, ob die Dudel von den Jovianern von der Io mitgebracht oder erst auf dem Jupiter vorgefunden wurden. Sie sehen jedenfalls alle gleich aus, daher Engifs Vergleich (entspricht so ziemlich unserem „wie ein Ei dem anderen“).

[2] ^ Das Land Bo war eine sagenumwobene Gegend auf der Io.
Näheres s. Seite Das Land Bo in Artikel Fabelwesen des Kapitels Andere Lebewesen in Band II.

[3] ^ Iovianer (also mit „I“ statt mit „J“) hießen die Jovianer, als sie noch auf der Io[4] lebten.