Jupolis

„Ich sehe das Zentralgestirn^[1] als eine Sichel von etwa einem Viertel der gesamten Größe auf seiner Seite gen West, der Große Rote Fleck ist nicht zu sehen“, berichtete Bine.

„Ha!“, rief Rukuk höhnisch aus. „Für wie töricht haltet Ihr mich? Sie Sonne steht im Westen, folglich versteht es sich von selbst, dass der Planet von dort beschienen wird. Und sie steht noch nicht sehr tief, so dass schwerlich mehr als ein ungefähres Viertel als Sichel leuchten kann. Und selbst bei vollem Jupiter ist die Wahrscheinlichkeit, den Roten Fleck zu sehen, geringer, als ihn nicht zu sehen, geschweige denn auf einer Sichel! Derlei angebliche Erweise machen mich eher Gegenteiliges glauben!“
Engif blickte Rukuk ernst und ruhig in die Augen und sprach: „So es denn Euer Wunsch ist, werde ich nicht säumen, die Wirksamkeit des Würfels an Euch selber aufzuzeigen.“
„Unsinn!“, murrte Rukuk, „denn ich sehe Jupitern ja ohnehin.“
„Des bin ich mir bewusst“, sagte Engif, „jedoch lässt es sich ändern durch die Kraft des Würfels. Denn wie Euch sicherlich bekannt ist, kann er den Ewig Wirbelnden^[2] nicht nur sichtbar machen, sondern desgleichen unsichtbar, oder besser: sichtbar nur auf der gegenüberliegenden Seite unsres Mondes.“

Rukuk war einen Moment lang unschlüssig, und Engif konnte nicht erkennen, ob die gerade geschilderte Möglichkeit ihm neu war oder nicht, als Rukuks Frau die Treppe hoch kam, völlig verstört. Da kurz zuvor im Iogeschoss die Tür auf und zu gegangen und ein Geräusch wie Revolte hereingedrungen war, war klar: sie kam von draußen. Doch sie sagte nichts.
„Versucht es an ihr zuerst“, sagte Rukuk und deutete auf seine Frau.
„Was?“, fragte diese, bekam aber keine Antwort.
„Zuvörderst will ich Euch darauf aufmerksam machen“, sagte Engif, zu Rukuk gewandt, „dass der Gegenzauber erst tags darauf zur Anwendung kommen kann. Doch könnt Ihr, Von Schimpfburg, morgen um diese Stunde, dann im Besitz des Würfels, selbst das ‚Jupiter, sei hier!’ zu Eurer Frau Gattin sprechen, so wie ich es vorhin bei Fräulein Bine tat.“
„Nun denn, setzt es ins Werk!“, sagte Rukuk.
Und noch ehe die Burgherrin so recht begriffen hatte, worum es ging, war Engif schon an sie herangetreten und sprach ihr über den Würfel das „Jupiter, sei dort!“ ins Ohr. Die Frau sah verwirrt ihren Mann an, dann Engif, dann wieder ihren Mann, bis dieser durchs Fenster nach oben zeigte und ungeduldig sagte: „Da! Nun?“
Frau von Schimpfburg sah zum Himmel und kreischte.
„Was denn itzt?! So sprich doch, Weib!“
„Weg!“, schrie die Frau, „Er ist hinfort! Entschwunden!“

Rukuks Frau, entjupiterisiert    [G]

„Nicht übel“, brummte Rukuk und zischte durch die Scheinzähne^[3]. „Und wie ist das?“, fragte er seine Frau. „Es lässt sich nicht in Worte fassen“, antwortete sie ergriffen, ohne den Blick wieder vom Himmel wenden zu können.
„Auch Eure Frau Gemahlin könnte Euch selbst, Von Schimpfburg, wenn auch imgleichen morgen erst, Jupitern zurückholen, wenn Ihr, zur Einholung eines abschließenden Beweises vor unserer Abreise, den Mut aufzubringen imstande sein solltet …“
„Ja, mach“, sagte Rukuk kurzentschlossen.
Engif ignorierte geflissentlich die Duzform und knipste nun auch ihm das Ding vom Himmel.
Und während Rukuk noch beeindruckt nach oben sah und seine Frau noch immer ebenso dastand, ließ Engif den echten Würfel in seiner Tasche verschwinden und kramte die Fälschung hervor.
„Grandios“, sagte Rukuk vor sich hin, „Noch weiß ich nicht, was, aber daraus lässt sich gewiss etwas machen. Ich denke, ich werde mich als Magier verehren lassen, so wie Bunnt von Wolkenburg es tut, und zusammen mit meinen andren Würfeln wird mein Ansehen das seinige deutlich übersteigen.“
„Die Art der Verwendung des Würfels ist Euch unbenommen“, sagte Engif. „Ich werde ihn Euch übergeben, sobald Fräulein von Wolkenburg und ich das Haus verlassen haben.“
„Nichts da“, forschte Rukuk ihn an und ließ wieder ab von seiner Himmelsbetrachtung, während seine Frau weiterhin fassungslos nach oben starrte, „Ihr gebt ihn mir jetzt auf der Stelle!“
„Ich bin es nicht gewohnt, Anweisungen entgegenzunehmen, schon gar nicht dieser Art, mein Herr“, sagte Engif mit gespielter Entrüstung, „und es liegt für mich keineswegs außerhalb des Vorstellbaren, die Würfelübergabe als gescheitert abzubrechen!“
Bine sah ihn flehend an, aber sein Blick verriet ihr, dass er sie unter keinen Umständen hier zurücklassen werde. Von außen wurde nun schon an die Tür getrommelt, und das konnte kaum als Zeichen dafür gewertet werden, dass die Leute sich darum drängelten, zusätzlich zu Bine auch noch Engif festzusetzen.