Band V

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ROLLERSAGEN DER ROMANTIK:
Der falsche Würfel
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Der falsche Würfel (Nacherzählung)

Auf der Gegenjupseite[1] des Heimatmonds[2] gab es einst einen Höchstangesehenen (bei uns wäre das ein König oder zumindest ein Schlossherr), zu dem die Roller[3] von weither angereist kamen, um Zeugen seiner Kunst zu werden. Denn er vermochte es, mithilfe eines Würfels den Jupiter auf dieser Seite des Mondes sichtbar zu machen, wo man ihn in Wirklichkeit niemals sieht.

Bunnt

Bunnt von Wolkenburg    [G]

Der Mann hieß Bunenentupelak, genannt Bunnt von Wolkenburg, denn seine Burg war nach dem Vorbild der Wolkenbänder des Jupiters bemalt. Die Burg hatte er hier aufgebaut, nachdem er sein Mofa[4] eingeparkt hatte. So nannte man es, wenn ein Roller sich mit einer Frau familierte[5] (bzw. eine Rollerin mit einem Mann), sein Rollertum für beendet erklärte und sich sesshaft machte. Das „eingeparkte“ Mofa stand dann meist, völlig verstaubt, neben dem Eingang solcher Burgen, als Zeichen für andere Roller, dass die Burgbesitzer ihresgleichen gewesen und sie selber hier willkommen sind.

Wolkenburg

Die Wolkenburg    [G]

Von Bunnts Frau ist und war schon immer wenig bekannt, außer dass sie ebenfalls eine Rollerin gewesen war, weshalb vor der Wolkenburg also gleich zwei verstaubte Mofas standen.

Bine

Bine von Wolkenburg    [G]

Umso bekannter war die Tochter der beiden. Sie hieß Binepubupeli, genannt Bine, und war von einer Anmut, wie sie selten war auf dem gesamten Mondenrund. Viele Gäste auf der Wolkenburg kamen allein um ihren sprichwörtlichen Liebreiz kennenzulernen – fast immer vergeblich, denn sie war höchst selten daheim auf der Burg. Denn auch sie war Rollerin und ständig irgendwo in fremden Gefilden unterwegs. Und so ließen sich denn jene, die ihretwegen gekommen waren, ebenfalls von ihrem Vater in der Kunst unterweisen, den Jupiter zu sehen, wo er nicht zu sehen ist.

Anfängersicht

Anfängersicht: Die Monde stehen vor dem Jupiter    [G]

Dabei war dies eigentlich weniger eine Kunst, als vielmehr Hexerei.
Der Würfel, den Bunnt von Wolkenburg besaß (und dessen Beschreibung in den verschiedenen Fassungen der Sage auffallend unterschiedlich ausfällt), war nämlich ein Zauberwürfel. Wenn man ihn an jemandes Ohr hielt und darüber die Worte „Jupiter, sei hier!“ sprach, sah derjenige augenblicklich den Jupiter am Firmament. Und zwar just an der Stelle, wo er auf der genau gegenüberliegenden Seite der Io in Wirklichkeit schien.

Profisicht

Profisicht: Die Monde verschwinden hinter ihm    [G]

Die Kunst an alldem lag darin, mit der eigenen Vorstellungskraft noch etwas nachzuhelfen. Denn auch wenn man den Planeten von Bunnt und seinem Würfel da oben hingezaubert bekommen hatte, sah man zunächst einmal die Monde Europa[6] und Ganymed[7] und die Sonne auf ihren Himmelsbahnen vor ihm vorüberziehen, anstatt, realistischer, hinter ihm verschwinden.

Um diese Vorstellung zu üben, standen Tag für Tag, Nacht für Nacht Scharen von rollerlichen[8] Gästen um die Wolkenburg herum, besonders aber in der dritten Nacht der viertägigen Io-Woche, wenn zuerst der fast volle Ganymed seine Bahn zieht und, während er noch scheint, auch die Europa das Himmelsgewölbe als Sichel erklimmt, und zu guter Letzt folgt ihnen auch noch die Sonne. Und wer da zunächst die beiden Monde auf der einen Seite hinter dem Jupiter verschwinden und auf der anderen Seite wieder hervortreten sah, und dann auch noch die Sonne, der konnte nicht anders, der musste einen Schrei der Begeisterung ausstoßen und einen Freudentanz aufführen, darüber, dass er seine Phantasie so weit zu schulen verstanden hatte.

Phantanz

Der Phantanz, ein Freudentanz

Deshalb nannte man das Land um die Wolkenburg herum das Phantänzerland, denn jemand, der Freudenschrei und -tanz einmal aufgeführt hatte, galt als „Phantänzer“. Es soll sogar Phantänzer gegeben haben, denen es gelang, in den beiden Mittagsstunden, für die sich die Sonne eingebildetermaßen hinter dem Planeten verkrochen hatte, im Dunklen zu tappen, aber diese Perfektionisten waren rar.

Wie gesagt, den Jupiter am Himmel zu sehen, war dabei die leichteste Übung, erforderte nicht mal Phantasie und gelang auch bei jungen, noch nicht weit gereisten Rollern, die den echten Jupiter noch gar nie gesehen hatten, allein durch den Würfel und den Spruch.
Für Fortgeschrittene, für Phantänzer also, hatte die Sache jedoch einen Haken. Phantänzer nämlich sahen den Jupiter nur noch von der Rückseite der Io aus. Und von der Vorderseite aus nicht mehr. Da, wo er wirklich stand, war er dann also weg für sie, wenn sie diese Seite bereisten.
Zwar verstand der Würfel auch die Umkehrformel „Jupiter, sei dort!“, womit man einen Phantänzer zum Ex-Phantänzer machen konnte, so dass er auf der Mondrückseite den Zentralplaneten[9] nicht mehr sah, dafür dann auf der richtigen Seite wieder, aber das wurde von Phantänzern nur selten in Anspruch genommen. Erstens weil man stolz war auf sein Phantänzertum, zweitens weil es wieder derselben Anstrengung bedurfte, dieses erneut zu erlangen.
Nicht-Phantänzer hingegen bedienten sich oftmals dieser Möglichkeit, denn so mancher Gast im Phantänzerland wollte nur mal ausprobieren, wie das aussieht, aber nicht dauerhaft auf der Gegenjupseite den Jupiter am Himmel haben.

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[1] ^ Gegenjupseite: Die Seite der Io[10], die dauerhaft vom Jupiter abgewandt ist; s. Seite Die verschiedenen Io-Seiten in Artikel Io-Zeit in Band IV.

[2] ^ Der Jupitermond Io[10], von dem die Jovianer (damals noch „Iovianer“) stammen, wird gern „Heimatmond“ genannt.

[3] ^ „Roller“ sind legendäre Iovianer (wie die Jovianer damals noch hießen), die auf rollenden Mofas[4] über die Io[10] vagabundiert haben sollen.

[4] ^ Mofa: Das geflügelte Privat-Fluggerät der Jovianer zum Aufsitzen (s. Seite Das Mofa in Artikel Fliegzeug in Band III). In den Rollersagen galt die Flugfähigkeit der Mofas allerdings als noch nicht entdeckt.

[5] ^ Jovianer heiraten nicht, sondern „familieren sich“, was in etwa unserer Verlobung entspricht.
Näheres s. Seite Familierung in Artikel Sitten und Benehmen in Band III.

[6] ^ Die Europa (auch „Weißmond“ genannt), knapp so groß wie der Erdmond, ist der nächste äußere Nachbarmond der Io[10].

[7] ^ Der Ganymed, der größte Mond des gesamten Sonnensystems, ist nach der Europa der übernächste äußere Nachbarmond der Io[10].

[8] ^ „rollerlich“ entspricht etwa unserem „ritterlich“

[9] ^ Gemeint ist der Jupiter.

[10] Die Io, oft auch Heimat-, seltener Rumpelmond genannt, ist der innerste der vier größten, sog. Galileischen Monde des Jupiters. Von hier stammen die Jovianer ursprünglich.