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Das mit dem Fest stimmte tatsächlich, aber der Vorwand, dass es zu Bines Ehren abgehalten werden sollte, war eine Lüge der niederträchtigsten Art.
Die Geladenen waren rohe Kerle aus dem Lärmland, und der Gastgeber sollte sich als der Schurke entpuppen, für den ihn die edleren Roller schon immer gehalten hatten.
Das Schimpfwort „Jupiterleugner“ wurde bereits erwähnt, und die ohnehin nicht sonderlich wohlwollenden Bewohner des Lärmlands hatten zu Beginn dieser Knirschphase eine besondere Eifersucht auf die Vorstellungskraft der Phantänzer entwickelt. Wahrscheinlich, weil sie selbst primitive Einfaltspinsel waren, sonst hätten sie sich nicht um die Schimpfburg herum angesiedelt und sich zu Vasallen dieses Rukuks da gemacht.
Das „Fest“ nun bestand – neben dem obligatorischen Batzenschmaus natürlich – hauptsächlich darin, dass sich die handverlesenen, finsteren Gäste nächtens auf den Rundgang der Burg begaben, um den Io-Durchgang zu bewundern.
Der Io-Durchgang ist auf der Jupseite nun wirklich nichts Besonderes, denn er geschieht jede Nacht. Es ist das Vorüberziehen des Schattens der Io auf der hell erleuchteten Jupiterscheibe.
Zweifellos war allen Anwesenden bekannt, dass Bine als Phantänzerin dieses Schauspiel nicht sehen konnte, aber das war ja auch der Zweck des „Fests“. Es war alles ein abgekartetes Spiel, nur dass selbst die Festgäste noch nicht wussten, welch spezielles Süppchen der Burg|herr dabei auch noch für sich selber kochte. Im übertragenen Sinne natürlich.
Die Teilnehmer standen also auf dem Rundgang und glotzten hinauf zum Himmel, und Bine tat es ihnen gleich, eben wie sich Phantänzer jupseitig üblicherweise verhalten, um keinen Anstoß zu erregen.
„Ist er nicht gar herrlich anzusehen, der Rote Fleck, der Große?“, fragte einer, zu Bine gewandt, mit falscher Zunge – denn der Große Rote Fleck war nicht zu sehen.
„Gewiss“, antwortete Bine, „es ist mir jedesmal aufs Neue eine Wonne, ihn zu erschauen.“
„Ihr erseht ihn also, just in diesem Augenblicke?“, fragte ein anderer.
„Mitnichten“, sagte Bine, „in diesem Augenblicke ist er mir verborgen.“
Sie spürte allzu deutlich, dass sie aufs Glatteis geführt werden sollte, wie wir sagen würden, aber die dahinterstehende Absicht konnte sie nicht durchschauen. Rukuk, der sich zunächst im Hintergrund gehalten hatte, wurde bereits ungeduldig und fragte lautstark:
„Sagt an, Fräulein von Wolkenburg, Jupitern höchstselbst, den seht Ihr doch?!“
„Gewiss“, antwortete Bine – ohne zu lügen, denn sehen konnte sie ihn ja wirklich, bloß eben nur von der anderen Mondseite aus.
„Jetzo und hierselbst?!“, rief Rukuk provozierend, und alle starrten angriffslustig auf Bine, die sich inständig wünschte, an jedem andern Ort zu sein, nur nicht hier, denn das hier konnte nicht gut ausgehen.
Die Anmerkung sollte vielleicht nicht unterlassen bleiben, dass die Sprache in den Rollersagen von der modernen Umgangssprache der Jovianer abweicht. Man wollte damit hervorheben, dass sich die Handlung in der Vergangenheit abspielte und bediente sich deshalb einer Ausdrucksweise, die antiquiert klingen sollte.
Außerdem sollte vielleicht daran erinnert werden, was in Band IV schon steht, nämlich dass es im Jovischen[1] eine Anrede, die sich nicht anders übersetzen lässt als mit „Fräulein“, durchaus gibt. Mangels eines männlichen Pendants im Deutschen bedient sich die Jovisophie[2] in diesen Fällen des Wortes „Junker“. In obiger Textpassage heißt in einer anderen Sagenversion, in der Bine ein Mann ist und Rukuk eine Frau, demzufolge: „Sagt an, Junker von Wolkenburg …“.
Hier und jetzt sah Bine den Jupiter ja tatsächlich nicht, und weil die Guten in den Sagen selten lügen, antwortete Bine auch diesmal wahrheitsgemäß, weil sie nämlich in Rukuks Augen sah und nicht zum Himmel, als sie sagte: „Dies freilich nicht.“
So viel Raffinesse hätte die Umstehenden eigentlich beeindrucken müssen, aber der Sinn der Aktion war schließlich ein anderer, und da konnte Bine so trickreich antworten, wie sie wollte, es lief alles auf dasselbe hinaus.
„Hört! Sie leugnet Jupiters Existenz!“, schrie Rukuk, künstlich entrüstet, und ein Raunen ging durch die Menge.
„Keineswegs, Herr von Schimpfburg“, verteidigte sich Bine chancenlos, „allein, ich werde seiner Gegenwart auf diesem Halbrund unseres Mondes nicht gewahr, und sicherlich werdet Ihr bereits vernommen haben, dass es dergleichen gibt.“
Rukuk tobte noch ein Weilchen weiter, schimpfte auf die „Arroganz der Jupiterleugner“, die Festgäste stimmten ihm zu, man müsse denen mal zeigen, wo der Hammer hängt, und deshalb sei es nur recht und billig, dieses hochnäsige Fräulein da mal eine Weile in Gewahrsam zu nehmen, und zwar so lange, bis sie zugäbe, dass hier der Jupiter am Himmel stehe und nicht, wie diese Eingebildeten sich einbildeten, anderswo!
[1] ^ Jovisch bzw. das Jovische ist die Sprache der Jovianer (s. Artikel Sprache, Schrift und Sporen in Band III).
[2] ^ Die Jovisophie ist die ehrwürdige Lehre von der jovianischen Zivilisation. Die Jovisophische Gesellschaft[3] (JoSoGes) vertritt diese Lehre, die sich bewusst nicht „Wissenschaft“ nennt, auf der Erde.
[3] Die Jovisophische Gesellschaft (JoSoGes) ist die Gemeinschaft der Menschen, die sich zum Ziel gesetzt haben, die Menschheit, also die Erdbewohner, über die Existenz der Jovianer, also der Jupiterbewohner, aufzuklären.