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ROLLERSAGEN DER ROMANTIK:
Der falsche Würfel
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So, und weil überall, wo es nach Ansehen riecht, auch Anhänger auftreten, gab es auch um die Schimpfburg herum Typen, die sich dort niederließen. Was Rukuks Ansehen weiter steigerte. Und es gab natürlich eine Reihe von Rollern, die an der Schimpfburg Rast machten, denn zu jeder Burg auf einer vielbenutzten Rollerroute gehörte eine Batzenhütte, und auch wenn Roller grundsätzlich Hungerkünstler sind, irgendwann muss jeder auch mal wieder essen.
Keinerlei Ehrenkodex besagte, dass die Batzen[1] durch irgendwas vergolten werden sollten, im Gegenteil, es galt als Ehre, die Roller zu bewirten. Und dennoch gab es tatsächlich etliche Roller, die Rukuk einen irgendwo gefundenen Würfel zum Gastgeschenk machten, um dafür von ihm gelobt zu werden. Überall sonst speisten diese Roller ohne Gegenleistung, nur hier lieferten sie etwas ab. Das ist etwa so, wie wenn wir einem steinreichen Menschen hundert Euro schenken und uns dadurch etwas besser fühlen.

Der Name „Schimpfburg“ kam daher, dass Rukuk beim Bau der Burg hauptsächlich mit Schimpfen beschäftigt gewesen sein soll. Schimpfen auf die rastenden Roller, von denen er erwartet hatte, dass sie mit Hand anlegten, und die dies wohl nicht ganz seinen Erwartungen entsprechend taten.
Die Gegend um die Burg herum wurde inzwischen Lärmland genannt, weil sich diejenigen, die sich hier niedergelassen hatten, oftmals lautstarke Wortgefechte lieferten, und dies auf einem ziemlich niedrigen Niveau.
Es gab ja auch reichlich unterschiedliche Roller, sensible und derbe, edle und suspekte. Rukuk hatte einst eher zu den derben und suspekten gehört (in manchen Erzählungen taucht er sogar als Raubroller auf), und was ihn hier umgab, war aus ähnlichem Holz geschnitzt.

Von den sensibleren, edleren Rollern wurde das Lärmland inzwischen häufig umfahren. Was insofern schade war, als man damit von der Äquatorroute abweichen und ein paar Hungertage in Kauf nehmen musste. Aber für viele war das allemal angenehmer als ein Aufenthalt unter Rollern der mehrheitlich unangenehmeren Art.
Auch Bine von Wolkenburg hatte nichts anderes vor, als die inzwischen schon recht tief gewordene Spurrille des Umwegs um das Lärmland zu nehmen, doch es gelang ihr nicht. Es hatte sich herumgesprochen, dass die bezaubernde Bine auf der Äquatorroute unterwegs war. Es hat durchaus Nachteile, die Tochter eines bekannten Höchstangesehenen zu sein, eines Prominenten sozusagen.
Entgegenkommende Rollerkollegen sagten ihr, sie werde auf der Schimpfburg bereits erwartet, man wolle dort gar ein Fest zu ihren Ehren geben. Außerdem seien im Lärmland einige Mitroller gestrandet, die die aufkommende Knirschphase bereits gründlich erwischt habe, und die würden sich freuen, in der dortigen rüpelhaften Gesellschaft auch mal ein freundliches Gesicht zu sehen.
Bine gehörte zu den Extremrollern, die sich – im Gegensatz zu den meisten anderen – auch in Knirschphasen nicht vom Weiterrollern abhalten lassen, auch wenn es in solchen deutlich beschwerlicher ist und langsamer vorangeht. Sie selbst hatte die gerade heraufdämmernde Phase ebenfalls schon ansatzweise erreicht, aber es war weniger das Gefühl, dass sowieso alles umsonst und aussichtslos sei, was sie letztlich bewog, das Lärmland doch anzufahren, sondern die Auskünfte der Entgegenkommenden. Denn wie hätte sie als höfliche und wohlerzogene Person ein Fest zu ihren Ehren ausschlagen können, das hätte ja sicher negative Auswirkungen auf das Ansehen ihres Vaters gehabt.

Bine Richtung Schimpfburg

Ahnungslos steuert Bine die Schimpfburg an    [G]

Also rollerte sie, mehr gezwungenermaßen, auf die Schimpfburg zu und sah schon am Rande des Lärmlands Roller, die sich zum Überknirschen[2] eingerichtet hatten und abseits bleiben wollten, und pfiff ihnen zu. Anders als die Motorradfahrer auf der Erde heben die sich begegnendenden Roller nämlich nicht nur die Hand andeutungsweise von der Lenkstange zum Gruß, sondern grüßen einander mit dem üblichen Pfiff[3].
Bine wollte überprüfen, ob das mit dem Fest lästigerweise wirklich vorgesehen sei, dann aber wieder zügig weiterziehen und keinesfalls das Ende der Knirschphase dort abwarten.
Dass sich ihr Aufenthalt unfreiwillig über Jahre hinziehen sollte, konnte sie noch nicht ahnen.

An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass sich der Jovianer mit „J“, also der auf dem Jupiter, wo die „Niederschrift“ (sprich: Sporenbesprechung[4]) der Rollerromane stattfand, schwertut mit der Umrechnung von Jup- in Io-Zeit.
Die Zeitrechnung auf der Io war nämlich eine ganz andere – was seine Logik hat, denn es ist nun mal ein ziemlicher Unterschied, ob man auf einem Mond den Planeten umkreist oder auf diesem ihn selbst. So hat denn der Jup-Tag nur 10 Stunden, während der Io-Tag 40 Stunden hatte (vgl. Artikel „Zeit- und andere Rechnungen“ in Band III), und das Gefühl des Jovianers für Io-Jahre ist völlig verlorengegangen. Dies war mit höchster Wahrscheinlichkeit bereits in der Entstehungszeit der Rollersagen der Fall, denn solcherlei gehört zu den Dingen, die sich ein Jovi nicht merken kann, wenn er nicht täglich damit konfrontiert ist.
Wenn in den Erzählungen der Romantik also von Jahren die Rede ist, sollten wir uns das einfach als „relativ lange Zeit“ vorstellen, oder dem Zeitraum das Jupjahr[5] zugrundelegen, wie es die jovianischen Konsumenten der Rollergeschichten vermutlich auch taten.

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[1] ^ Batzen sind die Hauptspeise der Jovianer; s. Artikel Lebensmittelversorgung in Band I sowie Ernährung in Band II.

[2] ^ Überknirschen (in Rollersagen): Das Abwarten des Endes einer Knirschphase[6] an einem festen Standort.

[3] ^ Der Pfiff mit den Nasenlöchern[7] ist der übliche Gruß unter Jovianern; vgl. Grußformen in Artikel Sitten und Benehmen des Kapitels Jovianer in Band III.

[4] ^ Sporenbesprechung: Die Besprechung von Buntbergsporen[8] mit einem Inhalt. Auch alle Rollersagen waren auf Sporen gesprochen.

[5] ^ Jupjahr nennen wir das Jahr nach jovianischer Zeitrechnung. Ein Jupjahr entspricht dem Zeitraum nach 41,3 Erdentagen. Näheres s. Artikel Zeit- und andere Rechnungen in Band III.

[6] Trieb- und Knirschphasen: Die kollektiven Stimmungsschwankungen der Jovianer.
Näheres s. Artikel Trieb- und Knirschphasen in Band II.

[7] Obwohl der Jovianer keine Nase hat, sondern nur eine Schnauze, heißen seine Nasenlöcher tatsächlich Nasenlöcher (s. Artikel Körper in Band II).

[8] Die Sporen der Bunten Berge werden als Kommunikations- und Speichermedium genutzt.
Näheres hierzu s. Artikel Sprache, Schrift und Sporen in Band III, bzw. (Herkunft) Buntbergsporen in Artikel Buntberginsel in Band I.