Einführung Teil 2

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Jupolis hat keine Straßen. Keine einzige Straße gibt es in dieser Stadt.

Tellergeher

Fußgängerverkehr auf den
Schwimmtellern    [G]

Man geht auf den Schwimmtellern, den Rundungen der Häuser entlang. Diese berühren sich in den meisten Fällen mit denen anderer Häuser, und wo nicht (oder wo ein paar geparkte Mofas den Weg versperren), muss man eben einen Umweg über andere angrenzende Schwimmteller nehmen. Das macht die Orientierung nicht ganz einfach und ist – neben einer anderen, in der Mentalität der Jovianer liegenden Eigenheit – sicher mit ein Grund dafür, dass sich die meisten nur selten aus ihrem Kaff hinaus bewegen.

Besuchsweg

Der Fußweg (rot gepünktelt) von den Jupseitlers zu den Rumpelmonds    [G]

„Kaff“ ist die Bezeichnung für einen Stadtteil. Ähnlich wie bei uns das „Viertel“. Weit über ein Dutzend solcher Käffer hat Jupolis, und die meisten davon tragen ziemlich banale Namen. Wie auch das Reihenhauskaff, das wir gerade betreten. Hier nämlich wohnt Familie Rumpelmond. Der Weg dorthin ist nicht weit und auch nicht sonderlich kompliziert: Man geht die kleinen Häuschen am Rand der Altstadt entlang bis zu dem großen Gebäude, das wir wohl aprikosenfarbig nennen würden. Es ist hier in dieser Gegend das einzige Großhaus weit und breit und deshalb ein guter Orientierungspunkt. Und wenn man es halb umrundet hat, steht man schon vor der ersten Reihenhäuserreihe. Derer gibt es drei in Jupolis, und im lila Haus der mittleren wohnen die Rumpelmonds.

stadtbes1Gegenseitige Besuche dieser Art werden nicht zuletzt deshalb abgehalten, damit man einander nicht vergisst. Ein ausgesprochen dürftig ausgestatteter Teil des Jovianergedächtnisses ist nämlich das Personengedächtnis. Jemanden, den man länger nicht mehr gesehen hat, zum Beispiel weil er in ein anderes Kaff gezogen ist, ist schnell vergessen. Wenige Jahre genügen da schon. Und zwar gleich so vergessen, wie wir uns das kaum vorstellen können. Man kann dann durchaus einem Bekannten von früher wieder begegnen und keine Ahnung mehr haben, wer das ist.

Herr und Frau Jupseitler haben zwei Blumensträußchen dabei, und er überreicht seines dem Herrn Rumpelmond und sie ihres der Frau. Das ist so üblich, wenn Paare einander besuchen. Dazu rufen sie ein herzliches „Pfeife!“ aus. Den echten Pfiff, den mit den Nasenlöchern, wendet man nur zur Begrüßung von weitem an, nicht wenn man die Tür bereits eingetreten hat.
Frau und Herr Rumpelmond verzehren die Gastblumen genüsslich, und es gelingt ihnen ein wohliges Rülpsen dabei. Das gilt als sehr höflich. Sie bitten die Jupseitlers zum Batzentisch, und auch wenn sich diese eben zu Hause noch ein paar Batzen einverleibt hatten (ein Jovianer macht sich niemals hungrig auf den Weg, egal wohin) – es passt ja immer noch was rein. Dabei wechseln sie ein paar sinnfreie Sprüche. „Keine Brühe ist so düster wie im Flug“, stellt Herr Jupseitler fest. „Fliegend ist die Düsternis fast brühelos“, bestätigt Frau Rumpelmond. Was Frau Jupseitler zu der Feststellung veranlasst, dass unbebrühtes Fliegen sichtlich erhellend sei. „Alsdann, hell ist die Sicht, und der Brühflug kann düstern!“, fasst Herr Rumpelmond zusammen.
Über Unterhaltungen wie diese kann unsereins nur den Kopf schütteln, aber die Jovianer haben mächtig Spaß daran. Am allermeisten dann, wenn sich der Unsinn am Ende auch noch reimt. „Ohnsinnplappern“ nennt man das. Dafür gibt es sogar regelrechte Meisterschaften. Jupseitlers und Rumpelmonds allerdings vergnügen sich gerade ganz zwanglos, also ungereimt.

stadtbes2Gern nehmen Herr und Frau Jupseitler das Angebot der Rumpelmonds an, zur Stadtbesichtigung ihre Schüssel zu benutzen. Denn allmählich drängt schon die Zeit, und zu Fuß wären wir nicht mehr weit gekommen. Die Tage auf dem Jupiter sind kurz! In nur zehn Stunden unserer Zeit dreht sich der Riesenplanet um seine Achse – also nur fünf Stunden Tageslicht pro Tag! Auch wenn die Jovianer eine andere Zeitrechnung haben als wir, ihre Stunden sind zufällig fast genau gleich lang wie die unseren.

Industriekomplex

Der Industriekomplex von Jupolis (Ausschnitt)    [G]

Und da uns davon heute nur noch zweieinhalb bis zur Dämmerung zur Verfügung stehen, müssen wir uns bei der Besichtigung der Stadt aufs Wesentliche beschränken.

Die Rumpelmonds haben ihre Schüssel am Ende der Reihenhausreihe nahe dem gelben Sudhaus geparkt, und auf dem Weg dorthin hat man zwischen den Häusern hindurch einen guten Blick auf den Industriekomplex. Den betrachten wir also nun mal nur aus der Ferne. Im Industriekomplex wird Jomit hergestellt und verarbeitet. Jomit ist der Werkstoff der Jovianer. Es besteht aus drei Komponenten, und je nach Mischungsverhältnis und etwaiger Zugabe von Zusatzstoffen lässt sich alles daraus herstellen. Alles. Dick, dünn, hart, weich, alles, vom Handschuh bis zum Haus, alles ist Jomit.
Also auch die Schüssel, die wir jetzt besteigen. Das heißt, besteigen tun sie nur unsere beiden Fremdenführer, wir fliegen ja nur virtuell mit. Herr Jupseitler legt einen kleinen Kavalierstart hin, denn Rumpelmonds Schüssel ist eine von den echten Dreizehnrohrigen. Mit dieser Beschleunigung hatte er zunächst nicht gerechnet, aber seine Frau greift rechtzeitig ein und bremst ab.

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