Für den für heute angesetzten Rundflug zum Kennenlernen der Umgebung von Jupolis nehmen wir ein Mofaxi. Das ist ein verlängertes Mofa mit aufgeschluzter Kabine, in der man einen Fahrgast oder beliebiges Material befördern kann. Selbstverständlich unternehmen wir auch diesen Rundflug nur „virtuell“. Es ist kein Reisebericht aus wirklicher, eigener Erfahrung. Es war ja noch nie jemand von uns dort, so wie noch niemals je ein Jovianer bei uns, und das wird möglicherweise auch für immer so bleiben.
Da es noch früh am Tag ist, wollen wir uns zunächst ein Stück weit auf den Offenen Ozean hinaus wagen und uns so der Weißen Wolkenwand (WWW) etwas nähern, die den Jupolis-Archipel kreisförmig umgibt. Wir wollen eine Ahnung davon bekommen, wie weit entfernt sie eigentlich ist und wie sehr sie sich vergrößert, wenn man ihr näher kommt. Sie „wächst“ tatsächlich merklich, so wie ein Gebirge erstaunlich anwächst, wenn man ihm entgegenfährt, aber noch nicht ahnt, wie gewaltig es einen umgeben wird, wenn man wirklich drin ist. Aber es würde wohl sehr spät werden, wenn wir in diese Richtung weiterfliegen würden, deshalb drehen wir wieder um in Richtung Jupolis. Der Mofaxi-Pilot meint auch, irgendwann wäre sowieso Schluss gewesen, denn die Schubrohre, also der Antrieb jovianischen Fliegzeugs, könnten zwar schier endlos weiterfliegen, aber die Steuerung sei auf Funkstrom angewiesen, und dessen Kraft nehme irgendwo da draußen rapide ab.
So kommen wir zurück zum Archipel, von Norden her, und nichts liegt da näher, als einmal das dreiteilige Massiv der Grünen Berge zu inspizieren, um vielleicht mal eines dieser berüchtigten Lebewesen zu erblicken, die man Bovianer nennt.
Mofaxi-Piloten sind erfahrene Flieger, die nichts so schnell aus der Ruhe bringt. Wenn jetzt also das Fliegzeug schwankt, liegt es nicht daran, dass die eine Hand des Piloten weg will von den Grünen Bergen und die andere korrigierend eingreift, sondern daran, dass uns der Pilot möglichst viel von diesem Gebirge sehen lassen will. Und wir sehen wahrhaftig mehrere jener dunklen Stellen, die man Bovianerlöcher nennt und die Eingänge zu ihren Höhlen sein sollen – einen Bovianer freilich bekommen wir nicht zu Gesicht. Keinen einzigen. Wir könnten also nicht einmal ihre Existenz bestätigen. Bezweifeln tun wir sie trotzdem nicht, denn wenn man schon seit Hunderten von Jahren davon spricht, dann wird ja wohl auch etwas dran sein.
Wir biegen ab zur Rotberginsel, die bis vor noch gar nicht allzu langer Zeit als unbegehbar galt, als ein Schuttplatz der Landschaftsformen. Man flog sie höchstens von der Seite an, um etwas Fomufre zu ernten, jenen roten Stoff, der weicher ist als Weichjomit und als Sitzpolster unübertrefflich. Heute drängen sich die Jovianer geradezu auf der Insel, geradewegs mitten durch die unwirtliche Landschaft zwischen den Hügeln, die den Namen „Rote Berge“ tragen. Denn das Gelände ist jetzt zum „Pfad der Verwegenen“ erklärt worden, und fast ganz Jupolis fühlt sich berufen, ihn mindestens einmal zu bewältigen. Dafür erhält man eine Plakette, die anfangs noch als hohe Auszeichnung galt, nun aber allmählich an Wert und Ansehen verliert, da es schon so viele davon gibt. Man muss also heutzutage schon mehrere davon haben, wenn man damit noch Eindruck schinden will.
Was die Leutchen da unten machen, womit sie sich abplagen, um die begehrte Pfadplakette zu erlangen, davon sehen wir nicht viel. Wir müssen nämlich ziemlich hoch fliegen, denn unter uns wimmelt es von Jupolizei.
Die Jupolizei ist, man hört es schon am Klang des Worts, etwas Ähnliches wie bei uns die Polizei, jedenfalls im Prinzip und Ansatz. Sie ist aus den früheren Ordnern hervorgegangen, die tatsächlich nichts anderes taten als ordnen, also Ordnung schaffen, wo immer Chaos auszubrechen drohte.
So wie es verschiedene Menschentypen gibt, gibt es auch unterschiedliche Jovianertypen, also Kreative und Unkreative, Zuverlässige und Unzuverlässige, Fleißige und Faule, Klügere und Dümmere. Bisweilen werden ihnen solche Eigenschaften aufgrund ihrer Herkunft zugesprochen, speziell der Gegend auf dem Heimatmond Io, wo ihre Vorfahren lebten. Noch spezieller danach, an welcher Stelle des Firmaments dort der Jupiter zu sehen war. Ob das im Kern seine Berechtigung hat oder nicht, sei dahingestellt. Fest steht aber, dass es Jovianer mit einem angeborenen Sinn für Ordnung und Durchblick gibt, und das waren früher die Ordner. Und sie sind es heute noch, nur tragen sie jetzt Uniformen, heißen Jupolizei und fliegen besondere Fliegzeuge, „Jupolizeibecher“ genannt. Das mit den Uniformen, heißt es, sei daher gekommen, dass damals auf der Io noch jeder den Ordner seines dörflichen Umfelds persönlich gekannt habe – heute, in der städtischen Struktur, sei dies jedoch nicht mehr möglich, deshalb habe man sie optisch kenntlich machen müssen.
Und hier über der Rotberginsel wacht die Jupolizei also darüber, dass sich niemand die Pfadplakette betrügerisch erschleicht. Etwa so, wie wenn bei uns massenhaft Polizeihubschrauber über einem Fußballstadion als Schiedsrichter fungieren würden. Aber dieser augenzwinkernde Vergleich soll keineswegs die Nützlichkeit der Jupolizei in Abrede stellen. Allerdings wird schon gemunkelt, dass die Kleinkriminalität in der Stadt zugenommen habe, seit sich die Jupolizei so sehr dem Pfaddienst verschrieben hat.