Jupolis

Wir heben wieder ab und setzen unsere kleine Reise fort, fliegen einen Bogen zum Grünen Turm (ebenfalls Relikt einer Triebphase und heute nebensächlich) und nehmen den Weg über die nördliche Hälfte der langen Stromschluckerkette auf den alten Flugplatz zu. Die lange Stromschluckerkette trennt das Stadtmeer vom Dunklen Meer ab. Die Inseln, die im sogenannten Offenen Ozean den Archipel bilden, der heute Jupolis-Archipel heißt, schließen in sich ja praktisch eine Art Binnenmeer ein, und dieses ist tatsächlich dunkel, im Gegensatz zum hellen Ozean.

Warum das so ist, können wir unsere Begleiter nicht fragen, und sie würden uns sicher auch nicht sagen können, ob es früher, als sich die Jovianer noch nicht hier niedergelassen hatten, anders war. Ob also die Verschiedenfarbigkeit des Grundlikörs (wie hier alle flächige Flüssigkeit heißt) mit den zwischen den Inseln angebrachten Stromschluckern zu tun hat, diese Frage muss für uns unbeantwortet bleiben. Wir wissen nur, dass die Stromschlucker irgendwelche Gezeitengefälle ausgleichen und aus dem „Schlucken der Strömung“ jovianische Wellenkraft erzeugen, auch Funkstrom genannt.
Die jupolitanische Elektrizität wird also von den Kappen der Stromschlucker ausgestrahlt, ganz ohne Kabel oder dergleichen. Die ganze Stadt wird solcherart mit Energie versorgt, die unbegrenzt zur Verfügung steht. Und natürlich auch kostenlos, denn „Kosten“ sind für den Jovianer ohnehin ein bedeutungsloser Begriff, da er das Geld nie erfunden hat.

„Jetzt wird’s gefährlich“, sagt Herr Jupseitler und meint es halb im Scherz, halb aber auch nicht, denn wir nähern uns den Grünen Bergen. Und da hausen bekanntlich die Bovianer.

Die Bovianer sind die furchterregenden Ureinwohner des Jupolis-Archipels, und furchterregend sind sie vor allem in den Knirschphasen (der Jovianer) und deshalb, weil man so gut wie gar nichts über sie weiß. Daran hat sich in all den Jahrhunderten nichts geändert. Man sieht nur gelegentlich mal einen oder zwei von ihnen am Eingang einer der Höhlen, die sie offenbar bewohnen. Die wildesten Gerüchte kursieren über sie – wissen tut man nichts.

In Triebphasen bewirkt ihr seltener Anblick ein süßes Gruseln, in Knirschphasen ein abgrundtiefes Grausen. Immerhin herrscht derzeit Ersteres vor, und so meiden denn die Jupseitlers die Grünen Berge nicht in großem Bogen, sondern fliegen ein Stück weit über deren Flanke hinweg. Aber man spürt, wie die Schüssel leicht schwankt. Das weist darauf hin, dass sich unsere beiden Piloten über die Flugbahn nicht ganz einig sind; es wird gelenkt und gegengelenkt zugleich.

Vom Flugplatz aus, den wir samt zugehörigem Kontrollturm gerade hinter uns gelassen haben, wurde Jupolis gegründet. Hier fing alles an. Hier landeten die weltraumtauglichen Fluggeräte mit den Übersiedlern und allerlei Gepäck. Mit im Gepäck auch die zerlegten Häuser, die die historische Altstadt gebildet haben, nachdem man sie wieder zusammengeschluzt hatte. Jomit nämlich wird nicht geklebt und nicht geschweißt, sondern geschluzt.

Mit einer kleinen Schleife über die Einsiedlersiedlung endet unsere heutige Tour. Hierher ziehen sich die Leute zurück, die das Stadtleben satt haben oder aus irgendeinem Grund vergessen werden wollen. Deshalb liegt die Siedlung außerhalb der Stadt, wird aber, sehr zum Verdruss ihrer Bewohner, dennoch zu den Käffern gezählt.

All das Umliegende, was ebenfalls nicht mehr Jupolis ist und dennoch dazugehört, die Inseln nämlich, wollen wir morgen noch näher in Augenschein nehmen. Für heute ist es dazu zu spät, denn es dämmert schon merklich. Gut, dass es die Leuchthäuser gibt. Wir fliegen also zurück, in der Hoffnung, nahe dem Häuschen der Rumpelmonds gleich einen freien Schüsselteller zu finden. [G]