Einführung Teil 1

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Momentan scheint eher die Triebphase vorzuherrschen, denn andernfalls würden uns Jupseitlers nicht in ihrer Mitte dulden. In Knirschphasen gehen sich die Jovianer auch untereinander aus dem Weg, so gut es geht. In der Großstadt allerdings geht es eher schlecht, weshalb dann auch oft bedauert wird, gemeinsam in dieser Stadt leben zu müssen.
In Triebphasen ist es umgekehrt: Man sucht die Nähe der anderen. Und das führt heute dazu, dass Frau und Herr Jupseitler der Familie Rumpelmond einen Besuch abstatten wollen. Und wir werden sie im 2. Teil dieser Einführung dorthin begleiten.
Rumpelmond ist ein relativ seltener Familienname, obwohl er sich auf den Mond bezieht, von dem schließlich alle Jovianer stammen: die Io. Als „Rumpelmond“ wird dieser Jupitermond aber erst bezeichnet, seit die Jovianer (damals noch: Iovianer) ihn verlassen mussten, als dort die Katastrophe ihren Lauf nahm.

Die Katastrophe liegt inzwischen weit über ein halbes Jupjahrtausend zurück, und keiner der heutigen Jovianer hat sie noch miterlebt. Aber es ist immerhin das so ziemlich einzige Ereignis der jovianischen Geschichte, von dem jeder ansatzweise ein bisschen weiß. Sein Desinteresse an der Vergangenheit geht natürlich mit einem auffälligen Mangel an Geschichtsbewusstsein einher. Man sollte glauben, dass ein Volk, das so vielerlei Phasen durchlebt, doch eigentlich die Geschichtsschreibung hochhalten müsste. Doch weit gefehlt. Ohne Schrift gibt es schließlich auch keine Schreibung. Und eine Kultur, die die Schrift in Vergessenheit geraten lässt, hat folgerichtig umgekehrt auch mit ihrer Vergangenheit nicht viel am Hut.

Was einen nicht sonderlich interessiert, entschwindet einem in der Regel auch leichter aus dem Gedächtnis. Aber! Der Jovianer verfügt neben seinem Normalgedächtnis auch noch ein weiteres, welches „Dramengedächtnis“ heißt und alles speichert, was ihn dramatisch aufbereitet erreicht hat. Und zwar dauerhaft. Das ist etwa so, wie wenn wir zwar kaum mehr eine Ahnung davon hätten, was uns im Alltag vor vier, fünf Monaten begegnet und widerfahren ist, aber sämtliche Filme, die wir vor vielen Jahren, Jahrzehnten gar, einmal gesehen haben, an die könnten wir uns lebhaft und fast wortgetreu erinnern. Mehr noch: Wir würden sie in unserem Inneren immer wieder ablaufen sehen.
Nun kennt der Jovi zwar keine Filme, aber die Leute erzählen einander viel, wenigstens in den Triebphasen, und von den dramatischen Erzählungen über die Zeit der Umsiedlung von der Io auf den Jupiter bleibt schon als Kind praktisch niemand unerreicht.

Altstadt

Die historische Altstadt von Jupolis (die zugehörigen Häuser sind nicht nur an ihrer Verfärbung, sondern auch an den veralteten Dachantennen zu erkennen)    [G]

Als wir das Haus verlassen und uns auf die Suche nach der Schüssel machen, die uns zu Familie Rumpelmond bringen soll, werden wir darauf aufmerksam gemacht, dass das Häuschen von Familie Jupseitler Teil der historischen Altstadt ist. Die kleine Altstadt war die Keimzelle des heutigen, großen, modernen Jupolis. Diese Häuser hier stammen noch vom Mond! Sie waren die letzten instand gebliebenen und wurden in gefährlichen Flugmanövern auf den Planeten verbracht.

Bedauernd, schamhaft fast, weist Herr Jupseitler darauf hin, dass sie deswegen so schmutzig aussähen, die Häuser dieses Viertels. Die Jovianer lieben nämlich die Sauberkeit, und so sehr man es begrüßt, diesen Stadtteil noch zu haben, so peinlich ist es seinen Bewohnern aber auch, dass sich der alte Schmutz der vulkanischen Aktivitäten auf der Io leider nie mehr abputzen ließ. Auch jetzt kratzt Frau Jupseitler an einer dunklen, wüsten Stelle – vergeblich. Nur die Schwimmteller, die sehen auch in der Altstadt neu und sauber aus. Denn auf solchen hatten diese Häuser auf dem Heimatmond noch nicht gestanden. Damals hauste man noch auf solidem Grund. Jedenfalls hatte man dies lange geglaubt.

Schüssel

Eine Schüssel    [G]

Die Schüssel ist unauffindbar. Das Paar ist schon länger nicht mehr damit geflogen und hat inzwischen vergessen, wo man sie abgestellt hatte.
„Schüssel“ nennt man das nach dem Mofa populärste Fluggerät der Jovianer. Es ist ein fast kugelförmiges Gebilde mit Schubrohren außendran und innen zwei Sitzen, von denen beiden aus die Schüssel gesteuert werden kann. So, als gäbe es in unseren Autos (die zudem fliegen können müssten) auch vor dem Beifahrersitz ein Lenkrad und Pedale.
Und das mit dem Vergessen des Abstellplatzes kommt öfter mal vor, denn Schüsseln können – im Gegensatz zu Mofas – eher nur selten direkt vor dem eigenen Haus geparkt werden, da sie kaum auf den Schwimmteller passen. Man muss also nach dem nächstgelegenen Schüsselteller Ausschau halten, der dann auch noch frei sein muss. So gesehen herrscht also eine gewisse Parkplatznot in Jupolis.

Lediglich Zweisitzer sind die Schüsseln deshalb, weil sich schon früh herausgestellt hatte, dass Familienausflüge bei Jovianern nicht möglich sind. Also mit Kind. Denn das Kind ist immer längst mit Gleichaltrigen auf dem Mofa unterwegs. Deshalb haben Frau und Herr Jupseitler nicht einmal den Versuch unternommen, vor dem Verlassen des Hauses nach oben in die Nachwuchskuppel (wie man das kleine Obergeschoss eines Einfamilienhauses nennt – bei uns wäre es das Kinder- oder Jugendzimmer) zu rufen und zu fragen, ob Junior mitkommen wolle. Denn erstens wäre die Antwort ohnehin abschlägig gewesen, zweitens hätte es ja auch keinen dritten Platz in der Schüssel gegeben. Dass man die jetzt nicht mehr gefunden hat und deswegen den Fußweg antritt, ist allerdings auch günstig für uns, denn so fällt nicht auf, dass natürlich auch wir nicht mit in die Schüssel gepasst hätten – sofern wir wirklich vor Ort gewesen wären.

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